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Fragmente eines Ungenannten Einl. 1. Teil Einl. 2. Teil Auferst. Gegens. Komm. Zweck (Vorr.) I II,1 II,2

VON DEM ZWECKE JESU UND SEINER JÜNGER
Noch ein Fragment des Wolfenbüttelschen Ungenannten

VORREDE DES HERAUSGEBERS

Gegenwärtiges Fragment sollte, meinen ersten Gedanken nach, durch mich entweder gar nicht, oder doch nur irgend einmal zu seiner Zeit, in eben dem abgelegenen so wenig besuchten Winkel Bibliothekarischen Auskehrichts erscheinen, in welchem seine Vorgänger erschienen sind. Ich lasse mir es ungern früher aus den Händen winden: aber wer kann für Gewalt?
Gleich Anfangs muß ich sagen, daß dieses Fragment zu dem Fragmente über die Auferstehungsgeschichte gehöret, welches bereits so viele Federn beschäftiget hat, und wahrscheinlich noch lange immer neune gegen eine beschäftigen wird, die ihr Heil gegen die übrigen Fragmente versuchen möchte.
Die Ursache dieser Erscheinung, daß eben das Fragment über die Auferstehungsgeschichte so viele Athleten wecket, ist klar. Die Sache worüber gestritten wird, ist so wichtig, und der Streit scheinet so leicht zu sein! Jeder Homilet, der sich getrauet eine Osterpredigt zu halten, getrauet sich auch mit meinem Ungenannten hier anzubinden. Krüppel will überall vorantanzen: und er läßt mehrers drucken, was nur eben verdiente gesagt zu werden, - und auch das kaum verdiente.
Doch es sei fern von mir, daß ich alle die würdigen Männer, welche gegen besagtes Fragment bisher geschrieben haben, in diesem ärmlichen Lichte erblicken sollte. In einigen derselben erkenne ich wirklich Gelehrte, deren Schuld es nicht ist, wenn ihr Gegner nicht zu Boden liegt. Die Streiche, die sie führen, sind nicht übel; aber sie haben auf die Strahlenbrechung nicht gerechnet: der Gegner steht nicht da, wo er ihnen in seiner Wolke zu stehen scheinet, und die Streiche fallen vorbei, oder streifen ihn höchstens.
Gewissermaßen kann ich Selbst nicht in Abrede sein, daß ich, der Herausgeber, daran mit Schuld habe. Man konnte es dem Bruchstücke nicht ansehen, welche Stelle es in dem Gebäude behauptet, oder behaupten sollen. Ich gab desfalls keinen Wink: und es ist ganz begreiflich, wenn sonach die Schnauze einer Renne für einen Kragstein, das Gesimse einer Feuermauer für ein Stück des Architrabs genommen, und als solches behandelt worden.
Freilich könnte ich zu meiner Entschuldigung anführen, gleichwohl vor der Klippe gewarnet zu haben, an der man gescheitert, indem ich Fragmente für nichts als Fragmente ausgegeben. Freilich könnte ich meinen sehr verzeihlichen Wahn vorschützen, daß ich geglaubt, des Celsus "Incivile est, nisi tota lege perspecta, una aliqua particula ejus proposita, judicare vel respondere" habe Justinian eben sowohl für den Gottesgelehrten, als für den Rechtsgelehrten aufbewahren lassen.
Doch da es indes auch seinen Nutzen hat, daß unsere Gottesgelehrten so vorsichtig und bedächtig nicht sind, als unsere Rechtsgelehrten, und manche derselben nicht ohne Grund für nötig erachten, lieber bald und nicht gut, als spät und besser zu antworten; indem es vielen ihrer Leser doch einerlei ist, wie sie antworten, wenn sie nur antworten: so will ich darüber weiter nichts sagen, und nur so bald als möglich den Fehler von meiner Seite wieder gut zu machen suchen.
Aus dem nämlich, was ich nun noch aus den Papieren den Ungenannten mitzuteilen im Stande bin, wird man, wo nicht günstiger, doch richtiger von dem Fragmente der Auferstehungsgeschichte urteilen lernen. Man wird wenigstens aufhören, seinen Verfasser als einen Wahnsinnigen zu verschreien, der die Sonne mit einem Schneeballe auslöschen will; indem man nun wohl sieht, daß die Zweifel, welche er wider die Auferstehungsgeschichte macht, das nicht sind, noch sein sollen, womit er die ganze Religion umzustoßen vermeinet. Er schließt ganz so lächerlich nicht, als man ihn bisher schließen lassen; "die Geschichte der Auferstehung ist verdächtig: folglich ist die ganze Religion falsch, die man auf die Auferstehung gegründet zu sein vorgibt": Sondern er schließt vielmehr so; "die ganze Religion ist falsch, die man auf die Auferstehung gründen will: folglich kann es auch mit der Auferstehung seine Richtigkeit nicht haben, und die Geschichte derselben wird Spuren ihrer Erdichtung tragen, deren sie auch wirklich trägt." -
Aber schäme ich mich nicht, daß ich das kleinere Ärgernis durch ein weit größers heben zu wollen vorgebe? Warum lasse ich es bei jenem nicht bewenden, wenn ich nicht selbst Freude an dem Ärgernisse habe? - Darum nicht; weil ich überzeugt bin, daß dies Ärgernis überhaupt nichts als ein Popanz ist, mit dem gewisse Leute gern allen und jeden Geist der Prüfung verscheuchen möchten. Darum nicht; weil es schlechterdings zu nichts hilft, den Krebs nur halb schneiden zu wollen. Darum nicht; weil dem Feuer muß Luft gemacht werden, wann es gelöscht werden soll.
Man erlaube mir, daß ich besonders auf dem letztern einen Augenblick bestehe. Ich habe bereits an einem andern Orte gesagt, daß das Buch ganz und völlig ausgearbeitet existieret, und bereits in mehrern Abschriften, an mehrern Orten existieret, wovon ich nur den kleinern Teil in Fragmenten des ersten Entwurfs in Händen habe. Ich setze itzt hinzu, daß dieses Buch geschrieben aus einer Hand in die andere geht, aus einer Provinz in die andere vertragen wird, und so im Verborgenen gewiß mehr Proselyten macht, als es im Angesichte einer widersprechenden Welt machen würde. Denn man lieset nichts begieriger, als was man, nur nächst Wenigen, lesen zu können glaubt. Ein Manuskript ist ein Wort ins Ohr; ein gedrucktes Buch ist eine Jedermannssage: und es ist in der Natur, daß das Wort ins Ohr mehr Aufmerksamkeit macht, als die Jedermannssage.
Bei diesem Gleichnisse zu bleiben: was habe ich nun Unrechtes getan, was tue ich noch Unrechtes, daß ich das Wort ins Ohr, welches die Wohlfahrt eines ehrlichen Mannes untergräbt, je eher je lieber zu einer lauten Sage mache, damit es auch dem, den es betrifft, zu Ohren komme, und er Gelegenheit habe, sich darüber zu verantworten? Ja, wenn dieses Wort ins Ohr in meinem Ohre erstürbe! wenn ich selbst der Urheber dieses Wortes wäre! - Aber ist dieses hier der Fall? Und doch sollte ich mich schämen?
Die mögen sich vielmehr schämen, welche die Verheißung ihres göttlichen Lehrers haben, daß seine Kirche auch von den Pforten der Hölle nicht überwältiget werden soll, und einfältig genug glauben, daß dieses nicht anders geschehen könne, als wenn sie die Pforten der Hölle überwältigen! - Und wie denken sie einen solchen Sieg zu erlangen? Dadurch, daß sie gar in keinen Streit sich einlassen? Dadurch, daß sie das Ding so zu karten suchen, daß die Pforten der Hölle auch nicht einmal einen Anfall wagen dürfen? - Von diesem negoziierten Siege aus ihrer Studierstube, kenne ich keine Verheißung.
Aber warum sage ich denn, "die mögen sich schämen?" Die muß der heißen. Der mag sich schämen, der noch der einzige seiner Art ist! Denn noch ist der Herr Hauptpastor Goeze der einzige Theolog, der zugleich so stolz und so klein von der christlichen Religion denket. Noch ist er der einzige, der es mir verübelt, daß ich die Flut, lieber nach und nach durch den Damm zu leiten suche, als den Damm auf einmal will übersteigen lassen. Noch ist er der einzige, der mich darum auf eine Art verlästert, die wenigstens dem Racha gleich kömmt. Nur freilich, daß der Große Rat nicht dieses sein Racha, sondern mich auf dieses sein Racha bestrafen soll. Sehr christlich!
Darauf wage ich es denn nun aber auch hin. Genug daß für mich selbst der Nutzen immer unendlich größer ausfallen muß, als der Schade sein kann, dem mich meine Dreistigkeit in Zuversicht auf die gerechte Sache aussetzet. Denn da, wie mir der Herr Hauptpastor bereits selbst attestieret habe, ich schlechterdings kein Hebräisch verstehe: so kann es nicht fehlen, daß ich, auf Veranlassung dieses neuen Fragments, bei welchem es lediglich auf eine tiefe Kenntnis der hebräischen Sprache und Altertümer ankömmt, nicht über manche Dinge belehrt werden sollte, über die ich fremde Belehrung notwendig brauche. Der Herr Hauptpastor selbst, nach ihrer bekannten Orientalischen Gelehrsamkeit, werden hoffentlich ein Vieles dazu beitragen; wofür ich ihm gern alle das Übel vergeben will, das sein heiliger Eifer mir etwa sonst möchte zugezogen haben. Ein frommer Schüler kann über die Züchtigung seines treuen Lehrers weinen, aber nicht zürnen. - Und hiermit küsse ich seine Rute, oder seine Skorpionen, schon im Voraus!

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