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Fragmente eines Ungenannten Einl. 1. Teil Einl. 2. Teil Auferst. Gegens. Komm. Zweck (Vorr.) I II,1 II,2

VON DEM ZWECKE JESU UND SEINER JÜNGER


II (2. Teil)

§ 33
Da aber die Zeugen der Auferstehung Jesu sich auf niemand anders berufen können, sondern alleine wollen gesehen haben, was für andere ehrliche Menschen unsichtbar gewesen, selbst aber in ihrer Aussage sich vielfältig widersprechen: so lasset uns doch weiter untersuchen, ob ihr Beweis aus der Schrift eine bessere Überführung gibt. Der gute Stephanus war der erste, welcher die Auferstehung Jesu so behauptete, daß er sich auch darüber steinigen ließ. Da er aber sich auf seine Erfahrung nicht berufen konnte, und also nirgend sagt, daß er ihn selber lebendig und auferstanden nach seinem Tode gesehen hätte: so wendet er sich zu einem Beweise aus der Schrift des alten Testaments, und wird, um solchen recht vollkommen zu geben, vorher des heiligen Geistes voll. Wäre es nicht zu weitläuftig, so wollte ich die ganze Demonstration für die Wahrheit der christlichen Religion wörtlich hieher setzen: denn sie ist gar sonderbar. Ein jeder aber wird sich von selbst erinnern können, daß ich nichts wesentliches auslasse oder verdrehe, wenn ich den Hauptinhalt hersetze. Er erzählet erstlich hundert Dinge, die einer nicht wissen will, und die zur Sache nichts dienen: Wie Abraham aus Mesopotamien berufen worden nach Kanaan, wie seinen Nachkommen dieses Land verheißen sei nach vierhundert Jahren zu besitzen, wie er die Beschneidung empfangen, und Isaac, Jacob und Joseph von ihm entsprossen, wie Joseph nach Ägypten verkauft, und da hoch empor kommen sei, endlich aber seine ganze Familie nach sich gezogen habe, wo Jacob und seine Söhne begraben worden, wie die Nachkommen in Ägypten unters Joch gebracht, wie Moses geboren, von der Tochter Pharao erzogen und unterrichtet sei, wie er einen Ägypter erschlagen, und diese seine Tat ruchtbar worden, und zu seiner Flucht nach Midian Anlaß gegeben, wie Moses nach 40 Jahren den Beruf bekommen, Israel zu befreien, wie er solches durch viele Wunder ins Werk gerichtet, und das Gesetz auf dem Berge Sinai empfangen, wie sich die Israeliten zu der Ägyptischen Abgötterei des Kalbes, Molochs und Remphan gewendet, wie sie das Gezelte des Zeugnisses empfangen, und solches NB. mit Jesu ins Land gebracht bis zur Zeit Davids, wie darauf David Gott ein Haus bauen wollen, Salomo solches würklich getan, obgleich Gott nicht in Häusern wohnet. Nun wird man bedenken, wozu soll alle diese Erzählung, die mit Jesu und seiner Auferstehung nicht die geringste Verwandtschaft hat? Denn daß Jesus mit oder in dem Gezelte des Zeugnisses soll ins Land Kanaan gebracht worden sein, das begreifet kein Mensch. Geduld! jetzt kommt der Beweis: Wenigstens fängt er ex abrupto an den hohen Rat zu schelten Ihr Halsstarrige und Unbeschnittene an Herzen und Ohren, ihr widerstrebet allezeit dem heiligen Geist, wie eure Väter, also auch ihr. Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Ja sie haben getötet diejenigen, die da zuvor verkündigten die Zukunft dieses Gerechten, dessen ihr nun Verräter und Mörder geworden seid, die ihr das Gesetz empfangen habt durch den Dienst der Engel, und habts nicht gehalten. Hier scheint sein Beweis zu Ende zu sein, und nichts mehr zu fehlen als das W. Z. E. Als aber die halsstarrige, unbeschnittne, verrätrische, mördrische, gottlose Obrigkeit dem guten Manne noch nicht glauben will, sondern vielmehr zornig wird, siehe da wird Stephanus voll heiligen Geistes, starret in den Himmel, und siehet die Herrlichkeit Gottes und Jesum stehen zur Rechten Gottes; sagt es auch dem hohen Rat, daß er Jesum da im Himmel siehet; aber Schade für alle diese siebzig erleuchtete Männer, daß keiner unter ihnen so klare Augen hat, das auch zu sehen; es ist nur dem einzigen Stephanus sichtbar: und also sind sie nicht fähig seinen augenscheinlichen Beweis zu fassen, er wird verurteilt und gesteiniget.

§ 34
Einen andern etwas künstlichern Beweis für die christliche Religion und Auferstehung Jesu gibt Paulus zu Antiochia in der Synagoge. Er winket vorher mit der Hand, daß man schweigen sollte, und spricht: ihr Männer von Israel und die ihr Gott fürchtet, höret zu. So merke denn auch auf, mein Leser, ich will Paulum selbst reden lassen, jedoch meine Gedanken auch eröffnen, die mir, wenn ich mich an die Stelle der zu bekehrenden Antiochier setze, bei diesen Reden einfallen.
Der Gott dieses Volks hat erwählet unsre Väter, und hat erhöhet das Volk, daß sie Fremdlinge wären im Lande Ägypten, und hat sie mit einem hohen Arm aus demselbigen geführet.
Das ist hoch angefangen!
Und bei vierzig Jahr hat er geduldet ihre Weise in der Wüsten, und als er sieben Völker in dem Lande Kanaan vertilget hatte, hat er unter sie nach dem Lose jener Land ausgeteilet.
Wo will doch dieses hinaus? was tut es zur Sache?
Darnach gab er ihnen Richter bei vierhundert und funfzig Jahrlang, bis auf den Propheten Samuel. Und von derselben Zeit an baten sie um einen König: und Gott gab ihnen Saul den Sohn Kis', einen Mann aus dem Stamme Benjamin vierzig Jahre. Und er setzet ihn ab, und erweckte ihnen David zum Könige; welchem er auch Zeugnis gab, und sprach: ich habe funden David, den Sohn Isai, einen Mann nach meinem Herzen, der allen meinen Willen tun wird.
Das wissen wir alles aus Lesung der Schrift: was soll nun endlich daraus gefolgert werden.
Von dieses Samen hat Gott, der Verheißung nach, dem Israel erwecket den Heiland Jesum.
Aber lieber Paulus, wenn dieses sollte erwiesen werden, wäre es denn nicht besser gewesen, alle die bekannten Historien von den Israeliten wegzulassen, und diese Verheißung vielmehr namhaft zu machen, ihren eigentlichen Verstand zu zeigen, und daß sie auf keinen als Jesum zu deuten sei, darzutun?
Da Johannes vor seinem Eintritt zuvor verkündigte die Taufe der Bekehrung dem ganzen Volk Israel. Als aber Johannes den Lauf erfüllete, sprach er, wen wähnet ihr, daß ich sei? Ich bins nicht; aber siehe er kommt nach mir, dessen Schuh von den Füßen los zu machen ich nicht würdig bin.
Wir müssen zwar den eilfertigen Sprung, von den Verheißungen der Propheten auf Johannem gelten lassen; allein wo dieses den vorigen Satz beweisen soll, so folget ja daraus, daß Johannes die Bekehrung geprediget, und auf Jesum als den Messias gewiesen, nicht, daß dieser Jesus von Nazareth in den Propheten als ein Heiland Israel sei verheißen worden. Soll aber Johannis Zeugnis für sich allein beweisen, daß dieser Jesus der Messias sei: so können wir es wohl auf dessen Wort nicht allerdings ankommen lassen. Denn er hat uns das nimmer aus der Schrift altes T. bewiesen, und sich auch durch keine Wunder oder Weissagung als einen neuen Propheten, dem wir glauben müßten, erzeiget. Das wissen wir von ihm, daß er ein naher Vetter von Jesu gewesen sein soll.
Ihr Männer lieben Brüder, ihr Kinder des Geschlechts Abraham, und die unter euch Gott fürchten, euch ist das Wort dieses Heils gesandt.
Die Anrede klingt lieblich, und möchte sonst die Gemüter gewinnen, aber wir sind noch so weit nicht, daß wir von dem Worte des Heils überzeugt sind: wir haben noch nicht verstanden, daß die alten Propheten Jesum von Nazareth als einen Heiland verheißen; oder daß er es deswegen sein müsse, weil es Johannes gesagt. Ohne Überführung aber sich ein Heil versprechen, hieße sich blindlings mit eitler Hoffnung schmeicheln; ohne allen Grund seine Religion fahren zu lassen, und eine neue annehmen, hieße mit der Religion spielen.
Denn die zu Jerusalem wohnen und ihre Obersten, dieweil sie diesen nicht erkenneten, haben sie beide die Stimme der Propheten, welche auf alle Sabbate gelesen werden, mit ihren Urteilen erfüllet: und wiewohl sie keine Ursache des Todes an ihm funden, haben sie doch Pilatum gebeten, daß er umgebracht würde: als sie aber alles vollendet haben, was von ihm geschrieben ist, haben sie ihn von dem Holz genommen, und haben ihn in ein Grab gelegt.
Wenn unsre Obersten nicht mehr Beweis von Jesu gehöret haben, als wir noch bis jetzo; so haben sie ihn nicht als den Heiland erkennen können. Denn in den Propheten, die wir gleichfalls alle Sabbate lesen, stehet weder sein Name, noch sonst ein Kennzeichen, das uns auf diese Person verwiese. Da er sich nun dennoch für einen Messias ausgegeben, so wundert uns nicht, daß der hohe Rat ihn desfalls zum Tode verurteilet. Wenigstens haben wir allewege die billige Vermutung für die hohe Obrigkeit, daß sie recht richte; für siebzig schriftverständige Männer, daß sie die prophetischen Kennzeichen des Messias an ihm nicht müssen funden haben; für die ansehnlichen Väter des Volks, daß sie eine Unruhe und Verwirrung in Israel aus seinem Betragen besorget.
Aber Gott hat ihn auferweckt von den Toten, und er ist erschienen viele Tage lang denen, die mit ihm hinauf gen Jerusalem gegangen waren, welche seine Zeugen sind bei dem Volke.
Ja, wäre er denn von den Toten erwecket, so folgte doch noch nicht, daß er der Heiland sei. Denn wir lesen ja in der Schrift auch von andern die Gott vom Tode erwecket hat, denen er doch deswegen keinen dem Volke zum Messias bestimmt. Allein eben dieses, daß Jesus vom Tode erweckt sein soll, können wir so nicht annehmen. Die Zeugen davon sind, wie wir hören, seine Anhänger und Jünger: und diese sind es eben, welche schon einen bösen Ruf bei uns haben. Der hohe Rat zu Jerusalem hat uns durch abgeordnete Männer ausdrücklich davor warnen lassen, und gesagt, daß diese Jünger des Nachts heimlich zum Grabe kommen, und den Leichnam gestohlen, und nun gingen sie herum und sprächen, er sei auferstanden. Wir kennen keinen von den Jüngern; es ist uns aber nicht zu verdenken, daß wir in dieser Sache dem ganzen hohen Rate in Jerusalem mehr trauen, als solchen uns unbekannten und schon verdächtigen Zeugen.
Und auch wir verkündigen euch die Verheißung, die zu den Vätern geschehen ist, daß dieselbige Gott ihren Kindern erfüllet hat, nämlich uns, indem er Jesum erwecket hat: wie dann im andern Psalm geschrieben stehet: Du bist mein Sohn, heut hab ich dich gezeuget.
Du, Paule, willst also, nicht zwar aus deiner Erfahrung als Zeuge, sondern aus den Verheißungen der Schrift beweisen, daß Gott Jesum erwecket hat. Aber sage uns doch, wie stehet das im andern Psalm geschrieben? Du, (David) bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeuget, soll so viel heißen, als, ich will künftig Jesum von Nazareth, des Josephs Sohn, vom Tode erwecken. Wer kann doch deine Schrift-Erklärung dulden? Der Text verheißet ja weder, daß jemand künftig einmal vom Tode auferstehen soll, noch daß der, welcher auferstehet, Gottes Sohn sei; oder umgekehrt, daß der welcher Gottes Sohn ist, auferstehen müsse, oder daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn sei. Wir mögen den Text kehren und wenden wie wir wollen, so kömmt nichts heraus, welches nur die geringste Verknüpfung mit deinem Satze hätte. Wir verstehen die Worte natürlicherweise von David, den Gott als seinen Geliebten zu seinem Sohne angenommen, und von den Schafhürden zum Könige gemacht. David spricht, der Herr habe zu ihm gesagt, (nämlich durch Samuel und Nathan) du, (David) bist mein Sohn, (mein Geliebter und Auserwählter) ich habe dich heute (jetzo und von nun an) gezeuget (als einen Sohn angenommen, und zum Könige ausersehen.) Der ganze neun und achtigste Psalm des Ethans ist eine Auslegung dieser Worte. Da wird Gott redend eingeführt: ich habe einen Bund gemacht mit meinem Auserwählten, ich habe David meinem Knecht geschworen, ich will deinen Samen befestigen bis in Ewigkeit, und will deinen Stuhl bauen für und für. Der Prophet spricht: - Dazumal redtest du im Gesicht zu deinem Geliebten und sprachest: ich habe einen Helden erweckt, der helfen soll; ich habe erhöhet einen Auserwählten aus dem Volk, ich hab funden David meinen Knecht, ich hab ihn gesalbet mit meinem heiligen Öl. Er wird mich nennen, du mein Vater, mein Gott und Fels meines Heils: ich will ihn zum Erstgebornen machen, zum höhesten über die Könige auf Erden: ich will ihm ewiglich bewahren meine Guttätigkeit und mein Bund soll ihm treulich gehalten werden etc. So ist denn ja David auch derjenige im andern Psalm, zu dem Gott redet: und er heißet ein Sohn Gottes, wie dort ein Auserwählter, ein Erstgeborner, der Gott seinen Vater nennet. Den hat er, nach prophetischer Redensart, gezeuget, das ist, als einen Sohn angenommen, wie es dort bei Mose heißet, daß Gott Israel (welches gleichfalls Gottes Sohn genannt wird) gezeuget habe; und wie Israel selbst bei dem Propheten die Fremdlinge, welche es in die Kirche aufnimmt, erzeuget. Was beweiset nun dieses alles von Jesu aus Nazareth?
Daß er ihn aber hat von den Toten auferweckt, dergestalt, daß er hinfort nicht wieder ins Grab kommen soll, spricht er also (Es. LV. 3.): Ich will euch geben die gewissen Guttaten David.
Andere mögen diese Erklärungskunst verstehen; für uns ist sie zu künstlich. Ich will euch geben die gewissen Guttaten David, heißet so viel, als ich will Jesum von Nazareth von den Toten auferwecken, daß er hinfort nicht wieder ins Grab kommen soll. Uns dünkt, der Prophet Esaias sagt, Gott wolle einen ewigen Bund mit den Israeliten machen, und ihnen das Gute widerfahren lassen, was er auch dem David verheißen und gehalten, nämlich daß ihm viele Völker unterwürfig sein sollten. So erkläret er sich gleich im folgenden Vers: Siehe ich habe ihn (David) den Leuten zum Zeugen gestellet, zum Fürsten und Gebieter den Völkern.
Darum spricht er auch an einem andern Ort (Ps. XVI. 10): Du wirst es nicht zugeben, daß dein Heiliger die Verwesung sehe. Denn David zwar, da er zu seiner Zeit dem Rat Gottes gedient, ist er entschlafen, und zu seinen Vätern hinzu gelegt worden, und hat die Verwesung gesehen. Den aber Gott auferweckt hat, der hat die Verwesung nicht gesehen.
Wenn wir anders die Folgerung recht fassen, so wird sie deutlicher so lauten. Der "Psalm redet von einem der die Verwesung nicht sehen soll: David aber hat die Verwesung gesehen: Also ist es David nicht, von dem der Psalm redet." Ferner: "Wer von Gott auferweckt ist, der hat die Verwesung nicht gesehen. Nun hat Gott Jesum auferwecket. Also hat er die Verwesung nicht gesehen. Also ist er derjenige, davon der Psalm redet." Bei dem ersten Schlusse wird die Frage sein, ob die Worte die Verwesung nicht sehen, schlechterdings zu nehmen, oder ob sie auf eine gewisse Zeit, und obschwebende Todesgefahr zu ziehen sind. Uns dünkt, wer Davids Schreibart kennt, der wird in diesen Worten nichts außerordentliches suchen. Es ist bekannt, daß David sich sonst selbst unter dem Namen des Heiligen oder Frommen verstehe, und man siehet leicht, daß er hier in diesem Psalm die Hülfe Gottes rühmt, welche ihn aus der Todesgefahr, darin er vor Saul schwebte, errettet, so daß ihm nun das Los aufs angenehmste gefallen, und er zu einem schönen Erbteil kommen. Er hat also damals nicht ohne Grund gehoffet und gebetet: du wirst meine Seele (das ist mich) nicht verlassen bis zur Hölle, (sogar, daß ich ins Reich der Toten fahren müsse) noch zugeben, daß dein Frommer (David) die Verwesung (oder Grube) sehe (und sterbe;) sondern vielmehr geben, daß ich länger lebe, und deine verheißene Guttat erfahre. So redet David sonst von einem langen Leben. Kein Bruder kann den andern vom Tode erlösen, ob er gleich lange lebet, und die Verwesung nicht siehet. So bedeutet denn die Verwesung nicht sehen, nicht so viel, als gar nicht sterben, oder nicht ewig tot bleiben, sondern nur, nicht alsofort, nicht bald sterben, länger leben. Denn er saget gleich darauf von solchen die Verwesung nicht sehen: man wirds sehen, daß solche Weisen doch (nämlich zuletzt) doch einmal sterben, sowohl als die Toren. Und an einem andern Orte: Wo ist jemand, der da lebt und den Tod nicht sehe, und seine Seele errette aus der Höllen Hand? Demnach ist der Satz Pauli nicht richtig, daß der Psalm von einem rede der die Verwesung schlechterdings nicht oder nimmer sieht; und also der Schluß falsch, daß der Psalm nicht von David rede. Was sollte uns also bewegen, von David selber abzugehen, da er in dem ganzen Psalm von sich selber spricht, und immer die Zueignungswörter ich, mir, mein, meine Seele etc. gebrauchet? Und wie könnte David begehren, daß wenn er so redet, jemand auf Jesum von Nazareth, einen Mann der noch nicht geboren war, denken sollte? - In dem andern Schlusse scheinet Paulus vergessen zu haben, was er beweisen wollte. Denn er nimmt seinen Hauptsatz, welcher bewiesen werden sollte, unvermerkt im Vordersatze ohne Beweis an. Der Hauptsatz, welcher bewiesen werden sollte, war nach Pauli eigenen Worten: daß Gott Jesum auferweckt hat, dergestalt, daß er hinfort nicht wieder ins Grab kommen soll. Nun nimmt Paulus in dem andern Schlusse zum Vordersatze an, daß Gott Jesum auferwecket hat, und schließt daraus: also redet der Psalm von Jesu, daß er die Verwesung nicht gesehen. Dieses heiße ja nicht beweisen, wenn man das, so erwiesen werden soll, ohne Beweis zum Vordersatze annimmt. Daraus wird nichts als ein eitler Kreislauf der Gedanken. Du sagest: Gott hat Jesum auferweckt. Wir fragen: woher beweisest du das? Dann sprichst du: weil er derjenige ist, von welchem David sagt, daß er die Verwesung nicht sehen werde. Warum muß aber David eben von Jesu reden, und woher wissen wir, daß Jesus die Verwesung nicht gesehen? Du fährest fort: weil er auferweckt ist: denn welchen Gott auferwecket hat, der hat die Verwesung nicht gesehen.

§ 35
Ich unternehme mir zwar nicht zu behaupten, daß die Antiochier bei Pauli Rede so gedacht haben; aber da wir heutiges Tages noch oft Antiochier sein müssen, und Pauli Beweis für die Auferstehung und christliche Religion anhören: so bezeuge ich aufrichtig, daß wenn ich auch aufs ehrlichste damit verfahren will, ich nichts anders herauszubringen weiß: und ein jeder der so weit im Denken kommen ist, daß er einen wilden Discurs in ordentliche Vernunft-Schlüsse auflösen, und also auf die Probe stellen kann, wird mir Recht geben müssen, daß sich aus Pauli Rede keine andere Folgerung erzwingen lasse. Und so ist es ganz klar und deutlich, daß der Beweis aus der Schrift für die Auferstehung Jesu, vor dem Richterstuhl der gesunden Vernunft in Ewigkeit nicht bestehen könne, sondern eine gar elende und handgreifliche Petitionem principii per circulum in sich halte. Nun sind diese beiden Beweise Stephani und Pauli die vornehmsten und weitläuftigsten in neuen Testament, und was sonst im II. und III. Kapitel der Apostelgeschichte zur Behauptung des Satzes von der Auferstehung Jesu von den Aposteln aus dem alten Testamente angebracht wird, enthält nichts neues, was von diesen beiden Beweisen unterschieden sei. Daher werde ich nicht nötig haben ein mehres davon anzuführen. Es ist hier auch der Ort nicht, da ich der Evangelisten ihre aus dem alten Testamente angeführte Zeugnisse der Schrift von der Geschichte Jesu überhaupt, untersuchen kann. Das soll zu seiner Zeit nicht vergessen werden. So viel siehet ein jeder nach obigen, daß, wenn man den Hauptsatz, welcher bewiesen werden soll, nämlich den Satz, dieser Spruch redet von Jesu aus Nazareth, nicht aus dem neuen Testamente auf guten Glauben voraussetzen will, kein einziger Spruch etwas beweise, sondern daß sie vielmehr natürlicherweise von ganz andern Personen, Zeiten und Begebenheiten reden. Niemand unter den Evangelisten führet bei seiner Erzählung mehr Sprüche der Schrift an, als Matthäus. Aber es ist auch nichts offenbarer, wenn man die Schriftstellen nachschlagen will, als daß sie entweder gar nicht in der Schrift stehen, oder nicht in denen Büchern stehen, aus welchen sie angeführet sind, oder auch den Worten nach falsch angezogen worden, alle miteinander aber dem Verstande nach nichts von dem in sich fassen, weswegen sie Matthäus anbringt, und nicht anders als außer dem Context oder Zusammenhange, durch ein bloßes Wortspiel in einer gezwungenen Allegorie dahin zu ziehen sind. Und so ist es besonders, wenn Jonas ein Zeichen oder Zeugnis von der Auferstehung Jesu sein soll. Wer kann doch in aller Welt bei diesem vorgegebenen Zeichen auf die bedeutete Sache kommen? Ich lese, es ist ein Prophet Jonas gewesen, der den heidnischen Nineviten nicht hat Buße predigen wollen, sondern aufs Meer geflohen ist. Also, soll ich schließen, wird ein Jesus von Nazareth aufstehen, der den Isrealiten gerne Buße Predigen will, und desfalls nicht aufs Meer fliehet, sondern willig nach Jerusalem gehet, um da zu leiden und zu sterben. Ich lese: Jonas ist von den Schiffleuten in einem Sturm ins Meer geworfen, und hat da drei Tage und drei Nächte lebendig im Bauche des Walfisches zugebracht. Also, soll ich schließen, wird Jesus aus Nazareth nicht drei Tage und drei Nächte, sondern einen Tag und zwo Nächte, nicht lebendig, sondern wahrhaftig tot, und das die Zeit über nicht im Meere, sondern in der Erden, oder vielmehr im Grabe in einem Felsen zubringen. Meine Schließkunst gehet so weit nicht.

§ 36
Es ist bisher gezeiget worden, daß das Neue veränderte Systema der Apostel von einem geistlichen leidenden Erlöser, der vom Tode auferstehen solle, und nach seiner Himmelfahrt bald mit großer Kraft und Herrlichkeit vom Himmel wiederkommen werde, in seinem ersten Hauptgrunde, nämlich der Auferstehung von den Toten, erdichtet und falsch sei: 1) weil das vorgegebene auswärtige Zeugnis der Römischen Wache, bei dem Matthäo, in sich höchst ungereimt ist, und von keinem der übrigen Evangelisten und Apostel jemals erwähnt, sondern ihm durch vielerlei Umstände widersprochen wird, so daß es vielmehr ganz möglich und höchst wahrscheinlich bleibt, was eine gemeine Rede bei den Juden worden war, daß nämlich die Jünger Jesu des Nachts gekommen und den Leichnam gestohlen, und darnach gesagt, er sei auferstanden: 2) weil die Jünger Jesu selbst, als Zeugen seiner Auferstehung, in ihrer Aussage in den Hauptpunkten nicht allein gewaltig variieren, sondern sich auch einander auf vielfältige Art klar und gröblich widersprechen: 3) weil ihr Beweis der Auferstehung Jesu und ihres ganzen Systematis aus der Schrift A. T. aus lauter nicht dahin gehörigen Dingen, aus Schelten und Schmähen, aus Verdrehungen der Schriftstellen und aus falschen Schlüssen und Petitionibus Principii bestehet. Nun kommen wir also zu dem andern Grundsatze des neuen Systematis der Apostel, daß nämlich Jesus nach seiner Himmelfahrt bald in großer Kraft und Herrlichkeit aus dem Himmel wiederkomme, und alsdenn sein herrliches Reich anfangen werde.

§ 37
Dieses Vorgeben desto besser zu verstehen, und dessen Ungrund zu entdecken, will ich nur vorläufig einige Erinnerungen machen. Erstlich ist zu wissen, daß die Juden selbst zweierlei Systemata von ihrem Messias hatten. Die allermeisten zwar erwarteten in solcher Person einen weltlichen Regenten, der sie von der Sklaverei erretten und ihnen andere Völker untertänig machen sollte. Und in diesen Systemate war nichts als Herrlichkeit; kein vorgängig Leiden, keine Wiederkunft: sondern das gewünschte Reich sollte nach dieser Hoffnung Israels alsobald angehen, wenn der Messias käme. Es waren aber jedoch andere, obwohl weit wenigere Juden, welche sagten, ihr Messias würde zweimal, und zwar in ganz verschiedener Gestalt kommen. Erst würde er armselig erscheinen, leiden und sterben; dann aber würde er aus den Wolken des Himmels wiederkommen und alle Gewalt empfangen. Der Jude Trypho beim Justino Martyre gestehet diese zweifache Zukunft des Messias: sie findet sich im Talmud und folgenden Schriften der Juden: ja die Neuern haben gar einen gedoppelten Messias aus dieser zwiefachen Zukunft gemacht; den einen aus dem Stamm Joseph, welcher leiden und sterben solle; den andern aus dem Stamm Juda vom Geschlechte Davids, welcher auf seinem Stuhl sitzen und herrschen werde. Nämlich die Juden hatten, in der Zeit ihrer Gefangenschaft, die süße Hoffnung auf einen Erlöser nachgerade durch so viele Schriftstellen zu bestärken und zu unterhalten gesucht, daß sie nunmehr vermittelst der pharisäischen Allegorien ihren Messias in unzähligen Sprüchen und fast aller Orten funden. Daher liefen diese Schriftstellen, die an sich von nichts weniger redten, dermaßen wider einander, daß sie sich, um alle zusammen zu reimen, nicht anders zu helfen wußten, als wenn sie eine zweifache und so verschiedene Zukunft des Messias setzen. Es war, zum Exempel, einmal angenommen, Zacharias rede vom Messias, wenn er spricht: Hüpfe vor Freuden du Tochter Zions, jauchze du Tochter Jerusalems: siehe dein König wird kommen zu dir, derselbe ist gerecht und ein Heiland. Aber siehe, er beschreibt ihn auch als arm, und auf einem Esel reitend. Und so waren auch noch andere Stellen der Schrift mehr, die ihnen wegen einiger Umstände schienen von dem gehofften Könige und Erlöser zu reden, aber die doch seinen elenden Zustand, Bedruck und Verfolgung mit einmischen. Hergegen siehet Daniel in seinen nächtlichen Gesichten, und es kam einer in den Wolken des Himmels, wie eines Menschen Sohn, und kam bis zu dem Altbetagten, und demselbigen ward gegeben alle Gewalt und Ehre, und Königreich, daß ihm alle Völker Nationen und Zungen dienen sollten. In dessen Zukunft ist lauter Nacht und Herrschaft; wie es auch an andern Orten, die der Juden Meinung nach einen Messias verhießen, lautet. Demnach konnte es nicht fehlen, daß nicht einige Juden, die die verschiedene Beschreibung zusammen hielten, darauf verfielen, daß ihr Messias zweimal und zwar in ganz verschiedener Gestalt kommen würde. Man begreift also von selbst, daß sich die Apostel dieses Systema, ob es gleich nur wenige hatten, nunmehro, da ihr erstes und den meisten schmeckendes Systema durch den Ausgang widerlegt war, zu Nutze gemacht, und also auch von Jesu, als dem Messia, nach seinem Sterben, eine andre herrliche Zukunft versprochen haben. Es ist ferner zu wissen, daß die Juden gemeinet, die Auferstehung der Toten würde auf die andere Zukunft des Messias erfolgen, dann würde er über Tote und Lebendige Gericht halten: und alsdenn würde das Himmelreich oder die andere Welt angehen: wodurch sie aber nicht, wie die Christen heutiges Tages, die selige oder unselige Ewigkeit nach der Zerstörung dieser Welt, im Himmel und in der Hölle, sondern das herrliche Reich des Messias auf dieser Erden, verstunden, und solches der vorigen oder damals noch gegenwärtigen Welt, nämlich ihrem Zustande vor dem Reiche des Messias, entgegen setzten. Es mußten also auch die Apostel, vermöge ihres neuen Systematis, eine andere Zukunft Christi aus den Wolken des Himmels versprechen, worin das, was sie jetzt vergeblich gehoffet hatten, erfüllet werden, und seine gläubigen Anhänger, nach gehaltenem Gerichte, das Reich ererben sollten. Wenn die Apostel keine solche herrliche Zukunft Christi verheißen hätten, so würde kein Mensch nach ihrem Messias gefragt, oder an ihre Predigt gekehret haben: dieses herrliche Reich war der Trost Israels in allen ihren Drangsalen, in dessen gewisser Hoffnung sie alles erduldeten, und alles ihr Vermögen willig hergaben, weil sie es hunderfältig wieder empfahen würden.

§ 38
Wenn nun die Apostel damals gesagt hätten, es würde noch wohl siebzehn, achtzehn oder mehrere Jahrhunderte dauren, ehe Christus aus den Wolken des Himmels wiederkäme, sein Reich anzufangen, so hätte man sie nur ausgelacht. Man hätte geglaubt, indem die Erfüllung ihrer Verheißung über so vieler Menschen und Geschlechter Leben hinausgesetzt würde, daß sie nur dadurch ihre und ihres Meisters Schande zu verbergen suchten. Kein Jude sonderte die andere Zukunft des Messias so weit von der ersten ab, und da die erste um der andern willen geschehen sein müßte, so war keine Ursache anzugeben, warum das Reich der Herrlichkeit nicht bald seinen Anfang nähme. Wenn niemand den erwünschten Zustand erleben sollte, wer hätte deswegen seinen Lebens-Unterhalt und Vermögen weggegeben, und sich vor der Zeit und umsonst arm gemacht? Wovon hätten denn die Apostel ihren Unterhalt ziehen, und noch so vielen Neubekehrten reichlich mitteilen wollen? Es war also für die Apostel allerdings nötig, daß sie die andere Zukunft Christi zu dem Reiche der Herrlichkeit aufs zeitlichste, und wenigstens auf die Lebzeit der damals vorhandenen Juden versprächen. Und dahin gehen demnach die Reden auch würklich, welche sie Christo beilegen, daß er balde und ehe das damalige Geschlecht der Juden vorbei wäre, wiederkommen wollte. Im XXIV. Kapitel Matthäi fragten die Jünger Christum, als er von der Verstörung Jerusalems und von seiner zweiten Zukunft geredet hatte: Sage uns, wenn wird das geschehen? und welches wird das Zeichen sein deiner Zukunft, und des Endes der Welt? Sie meinen durch das Ende der Welt, nach Jüdischer Sprache, das Ende der Zeiten vor dem Reiche des Messias, oder die Aufhebung des jetzigen Reiches der Juden, womit das neue Reich unmittelbar sollte verknüpft sein. Da legen nun die Evangelisten und Apostel ihrem Meister eine solche Antwort bei, daß er sie erstlich für falsche Christos oder Messiasse gewarnet, welche sich für ihn ausgeben würden, ehe noch das Ende da wäre. Bald aber nach der Drangsal derselbigen Tage, spricht er, wird die Sonne verfinstert werden, und der Mond wird seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden: das heißt, nach prophetischer Schreibart der Hebräer, so wird die jetzige Welt, oder die jetzige Verfassung der Jüdischen Republik ein Ende nehmen: und alsdenn wird erscheinen das Zeichen des Sohnes des Menschen im Himmel, und alsdenn werden an die Brust schlagen alle Geschlechte auf Erden, und werden sehen kommen den Sohn des Menschen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit u.s.w. Wahrlich ich sage euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß dieses alles geschehe. Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand. Darum wachet, denn ihr wisset nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommen wird. Darum auch ihr seid bereit, dann der Sohn des Menschen wird kommen zu einer Stunde, da ihr nicht meinet. Wann aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle heilige Engel mit ihm, alsdann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, und es werden vor ihm alle Völker versammlet werden, und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet. Durch diese Reden wird die Zeit der sichtbaren Wiederkunft Christi auf den Wolken des Himmels zu dem Reiche seiner Herrlichkeit klar und genau bestimmet, bald nach den bevorstehenden Drangsalen der Juden, noch ehe dieses Geschlecht, oder die zu Jesu Zeiten lebende Juden, gänzlich vergangen oder gestorben wären. Und ob zwar Tag und Stunde niemand vorher wissen könnte, so sollten doch die damals Lebende, und besonders die Jünger wachsam und bereit sein, weil er kommen würde zu einer Stunde, da sie es nicht meinten. Daß dieses der wahre Verstand der Worte bei dem Evangelisten sei, erhellet noch deutlicher aus einer andern Stelle bei eben demselben. Denn nachdem Jesus gesagt, er müsse hingehen nach Jerusalem, und würde daselbst getötet werden, und wieder auferstehen, fügt er hinzu: Dann es wird je geschehen, daß der Sohn des Menschen komme in der Herrlichkeit seines Vaters, mit seinen Engeln, und alsdann wird er einem jeglichen vergelten nach seinen Werken. Wahrlich ich sage euch, es sind etliche unter denen die hie stehen, die den Tod mit nichten schmecken werden, bis daß sie den Sohn des Menschen kommen sehen in seinem Reich. Klärers kann auf der Welt nichts gesagt werden, das die Zeit der sichtbaren herrlichen Wiederkunft Christi auf einen gewissen nicht gar entferneten Zeitlauf festsetzte, und in dessen Schranken einschlösse. Die Personen, welche damals um Jesu auf derselben Stelle herumstunden, sollten noch vor dieser Zukunft nicht alle gestorben sein, sondern etliche davon sollten ihn noch vor ihrem Tode kommen sehen in seinem Reich.

§ 39
Allein weil Christus zum Unglück binnen der Zeit, ja in so vielen Jahrhunderten nachher, nicht auf den Wolken des Himmels wiederkommen ist; so sucht man heutiges Tages der offenbaren Falschheit dieser Verheißung durch eine gekünstelte aber gar kahle Deutung der Worte zu Hülfe zu kommen. Die Worte, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, müssen sich foltern lassen, und nunmehro das Jüdische Volk, oder die Jüdische Nation bedeuten. Damit, sagt man, könne ja die Verheißung bestehen; das jüdische Volk sei ja noch nicht vergangen: und also die Zeit der andern Zukunft Christi noch nicht verstrichen. Es ist wahr, man hegt und pflegt die Juden in der Christenheit nur allzu sehr, daß ja das saubre Volk nicht vergehen soll. Und es scheint, als wenn man sich die Rechnung macht, daß diese Ausflucht noch vielleicht eben so viele Jahrhunderte als vorhin nötig sein dürfte. Aber sie kann nun und nimmer eine sichre Zuflucht gewähren. Ich will jetzt nicht sagen, daß die andere kurz vorher beregte Stelle eben des Evangelisten Matthäi, oder so man will Christi eigene Worte, den Verstand außer Streit setzen: denn von den Personen, welche auf einer gewissen Stelle, um Jesus, vor seinem Leiden herumgestanden sind, kann man doch wohl gewiß nicht sagen, daß sie die ganze Jüdische Nation in so vielen Jahrhunderten nach einander bedeuten: noch auch behaupten, daß etliche davon den Tod noch nicht geschmeckt hätten, man müßte denn, weil nichts mehr übrig ist, einen ewigen wandernden Juden erdichten, der von der Zeiten Jesu an noch lebe. Ich will jetzo nur aus den angeführten Worten selbst zeigen, daß das Grund-Wort genea die Bedeutung einer Nation oder Volkes nimmer habe. Das Volk oder die Nation der Juden, wird, so wie andere Völker durch die Wörter laos oder ethnos ausgedruckt, genea aber heißt im neuen Testament, und allenthalben Generationem, oder Leute, die zu einer Zeit zusammen auf der Welt leben, und hernach durch ihren Abtritt von diesem Schauplatz einer andern Generation Platz lassen.

§ 40
Ein jeder besinnet sich ja alsobald des Anfangs von Matthäi Evangelio, daß von Abraham bis auf David gerechnet werden geneai dekatessares, vierzehn Geschlechte oder Generationen: und wieder vom David bis auf die Babylonische Gefängnis geneai dekatessares, vierzehn Generationen: endlich von der Babylonischen Gefängnis bis auf Christum geneai dekatessares, vierzehn Generationen: welche auch bei dem Matthäo in dem Geschlecht-Register alle namhaft gemacht werden. Die andern Generationen nun, außer der zu Jesu Zeiten lebender, hießen parohchehmenai, heterai, archaiai genai, vergangene, andere alte Generationen. Die aber zu Jesu Zeiten lebte, war die gegenwärtige, hauteh genea, diese Generation die aber auch zu ihrer Zeit vergehen werde pareltheh. Die damalige Generation beschreibt Jesus öfters als böse, ehebrecherisch und ungläubig, weil sie ihn sowohl als Johannes verleumdet, und ein Zeichen vom Himmel begehret. Er sagt, es würde den Nineviten und der Königin von Saba erträglicher ergehen an jenem Gerichte, als dieser Generation, welche einen viel größern Propheten als Jonas, einen viel weisern als Salomon hörten, und doch verachteten. Jesus rechnet insbesondere seine damaligen Jünger als diese Generation, und schilt sie als eine ungläubische und verkehrte Generation, daß sie einen gewissen Teufel nicht hatten austreiben können, und frägt: wie lange soll ich bei euch sein? Diese Bedeutung hat das Wort genea in allen übrigen Stellen des ganzen Neuen Testaments, wie ein jeder sehen kann, dem beliebig ist die Fächer der Concordanz durchzuwandern. Und eben den Begriff verknüpfen die siebzig Dolmetscher, die Apocrypha, Philo, Josephus ja auch die Profan-Skribenten damit. Es ist auch besonders bei den Hebräern nichts anders als das Hebräisch Dor. So sagt Solomon Dor holech vedor ba, genea poreuetai kai genea erchetai, eine Generation vergehet, die andere kommt. Moses spricht, Gott hätte die Israeliten hin und her ziehen lassen, in der Wüsten vierzig Jahr, bis daß die ganze Generation verginge, die übel getan hatte vor dem Herrn heohs exanehlohtheh pasa heh genea, hoi poiountes ta ponehra. Und an einem andern Ort: heohs hou diepese pasa genea androhn polemisohn. Wiederum heißt es von denen die zu Josua Zeiten gelebt hatten, daß die ganze Generation zu ihren Vätern versammlet worden, kai pasa heh genea ekeineh prosetethehsan pros tous pateras autohn.

§ 41
Es ist demnach unwidertreiblich, daß in Jesus Rede bei dem Matthäo hauteh genea, dies Geschlecht, nichts anders heiße, als diese Generation, oder die Juden welche zu Jesu Zeiten lebten. Die sollten nicht vergehen, oder aussterben, ehe und bevor er würde aus den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit wiederkommen sein zu seinem Reich. Da nun unleugbar ist, daß solches nicht geschehen sei, so ist es eine kahle Bemäntelung der Falschheit dieser Verheißung, daß doch das ganze Jüdische Volk nicht vergangen, sondern noch in der Welt sei. Diese Generation, die vergehen könnte und würde, ist ja nicht das ganze Volk mit allen Generationen zu verschiednen Zeiten. Jesus und die Juden haben nimmer geglaubt, daß ihr Volk oder Nation vergehen würde; aber daß in dem Volke eine Generation nach der andern vergehen würde, das erkannte Moses, Josua, Salomon, und das wußte ein jeder aus der gemeinen Erfahrung der Sterblichkeit. Es ließe sich also von einer Generation der Juden sagen, daß sie vergehen würde, und also ließe sich auch die Zeit einer zukünftigen Begebenheit durch die Schranken des Lebens der gegenwärtigen Generation bestimmen: aber von dem ganzen Jüdischen Volke sagt kein Jude, daß es vergehen würde; und also ließe sich die Zeit einer zukünftigen Begebenheit nicht durch die Vergänglichkeit oder das Ende des ganzen Volkes bestimmen. Überhaupt lässet sich ja eine Erfüllung einer verheißenen gewissen Sache nach ihrer gehofften Würklichkeit nicht durch etwas feste setzen, das in einem fortdauret, und von Jahrhunderten zu Jahrhunderten bis in Ewigkeit fortgehet. Denn wenn ich einem sagte: dieses Wasser soll nicht vergehen bis ich wiederkomme; und ich wäre etwa an der Donau, Elbe, Oder, Rhein, und verstände die Ströme in ihrer ganzen Folge des Laufs; würde das nicht vielmehr so viel heißen, als, ich will in Ewigkeit nicht wiederkommen? Es wäre demnach eine artige Bestimmung der Wiederkunft Jesu aus den Wolken des Himmels, wenn die Meinung wäre: das ganze Jüdische Volk in allen seinen fortwährenden Generationen soll nicht vergehen, bis ich wiederkomme. Das hieße ja wohl bei einem Juden nichts anders, als, er will wiederkommen, ehe der Jordan verlaufen ist, ehe die Ewigkeit zu Ende ist. Es ist also nicht möglich, daß dieses Geschlecht, oder diese Generation, in Christi Verheißung der Zukunft was anders bedeuten könne, als die damals lebende Juden. Und was kann auf der Welt insolchem Verstande und Absicht klärers gesagt werden, als was Jesus anderwärts spricht: etliche von denen, die hier bei mir stehen, werden den Tod nicht schmecken, bis daß sie den Sohn des Menschen kommen sehen, in sein Reich. Die Meinung ist einerlei mit der vorigen Redensart: diese Generation wird nicht vergehen. Denn die etliche, welche da bei Jesus stunden, waren gewisse Personen der damaligen Generation, oder der damals lebenden Juden: und die sollten den Tod nicht schmecken, das ist, nicht sterben oder vergehen, bis sie ihn sähen aus den Wolken wiederkommen. Aber in soferne in der letztern Ausdrückung, die damalige Generation der Juden durch das Leben gewisser einzelner namhafter Personen beschränket wird, so bestimmt sie doch die Sache noch etwas genauer und mehr ins besondere: so daß einer gar alle Scham müßte verloren haben, wenn er gegen den so umständlich determinierten Verstand noch Einwendungen machen wollte. Gewiß, die erste Zukunft des Messias ist bei weiten nicht so genau auf eine gewisse Zeit im alten Testament festgesetzt, als die andere Zukunft im neuen festgesetzt wird. Und ein Jude kann noch weit vernünftigere und billigere Auslegungen und Einwendungen vorschützen, daß sein gehoffter Messias noch gar nicht kommen ist; als ein Christ sich und das Christentum retten kann, daß sein Messias noch nicht wiederkommen ist.

§ 42
Man erkennet durchgehends im Neuen Testament, daß alle Jünger Jesu diesen Begriff von der verheißenen andern Zukunft desselben gehabt, und denen neubekehrten beigebracht haben, daß sie gar bald, und noch bei ihrem Leben geschehen würde. Die sämtlichen Jünger werden von Luca so aufgeführt, daß sie Jesum nach seiner Auferstehung gefragt: Herr, wirst du nicht zu dieser Zeit das Königreich denen Israeliten wieder herstellen? Und sie tun nachmals, in ihren Schriften an die Gläubigen, dieser Zukunft Jesu als einer baldigen, gar fleißige Erwähnung, und ermahnen sie, auf dieselbe wacker zu sein, und sich bereit zu machen, als die noch zu ihrer Zeit kommen würde, ja alle Stunde und Augenblick kommen könnte; damit sie in dem Stande erfunden würden, daß sie an dem herrlichen Reiche Teil nehmen könnten. Jacobus nimmt daher seine Ermunterung zur Geduld. So seid nun geduldig, lieben Brüder, bis auf die Zukunft des Herrn, -- so seid auch ihr geduldig, weil die Zukunft des Herrn nahe ist -- siehe der Richter stehet vor der Tür. Paulus schreibt an seine Thessalonicher, daß etliche unter ihnen zwar entschlafen wären, ehe Christus wieder gekommen, daß aber diese ihm nicht später in den Wolken würden entgegen geführet werden, als die so unter ihnen noch lebten und überblieben wären, wenn Christus erschien. Ich will aber nicht, spricht er, lieben Brüder, daß euch unbewußt sei, von denen die entschlafen sind, auf daß ihr nicht trauret, wie die andern die keine Hoffnung haben. Dann so wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden ist: also wird Gott auch die, die da entschlafen sind durch Jesum, mit ihm führen. Dann dies sagen wir euch durch des Herrn Wort, daß wir, die wir leben und überbleiben werden in der Zukunft des Herrn, denen nicht vorkommen werden, die da entschlafen sind. Denn er selbst der Herr, wird mit einem Feldgeschrei, mit einer Stimme des Erz-Engels, und mit der Posaunen Gottes hernieder kommen vom Himmel, und die Toten in Christo werden auferstehen zuerst. Darnach wir, die wir leben werden und überblieben sein, werden zugleich mit denselbigen hingerückt werden in den Wolken, dem Herrn entgegen in der Luft, und werden also bei dem Herrn sein allzeit. So tröstet euch nun mit diesen Worten unter einander. Von den Zeiten aber und bestimmten Stunden, lieben Brüder, habt ihr nicht vonnöten, daß man euch schreibe. Denn ihr selbst wißt eigentlich, daß der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Dann, wann sie werden sagen, es ist Friede und alles sicher, alsdann wird sie ein schnell Verderben überfallen, gleichwie die Kindsweh ein schwanger Weib, und werden nicht entfliehen. Ihr aber, lieben Brüder, seid nicht in der Finsternis, daß euch derselbe Tag wie ein Dieb ergreife. Eben so redet Paulus zu den Korinthern: Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verändert werden. In einem Punkt, in einem Augenblick, mit der letzten Posaune, dann sie wird posaunen, und die Toten werden auferwecket werden unverderblich, und wir werden verändert werden.

§ 43
War es nun den ersten Christen bei so klaren Worten Jesu selbst und seiner Apostel, zu verdenken, daß sie diese Zukunft Christi in den Wolken alle Tage vermuten waren, daß sie auf das herrliche Reich immer hofften, und wenigstens glaubten, daß einige unter ihnen noch leben würden, wenn es anginge? War es ihnen zu verargen, daß ihnen die Zeit zu lange währte, und die Geduld verginge, als einer nach dem andern entschliefe, ohne es zu erleben? Ja darf man sich wundern, daß endlich Spötter gekommen, und gesagt: Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Dann von dem Tage an da die Väter entschlafen sind, bleibt es alles wie es vom Anfang der Schöpfung gewesen ist. Paulo muß ja wohl zu Ohren kommen sein, daß die Thessalonicher, sowohl durch anderer Lehrer Reden, als aus seinem eigenen ersten Briefe an sie, Christi Zukunft so nahe stellten, daß die Verheißung nicht würde zu retten gewesen sein. Darum spricht er in seinem andern Briefe mit geheimnisvollen Worten, von einer Abweichung, von einem Menschen der Sünde, von dem Sohn des Verderbens, dem Gottlosen, der zuvor kommen müsse; der sei zwar jetzt schon im Werk, aber er werde aufgehalten, und wenn er sich denn endlich offenbare, so werde ihn der Herr umbringen mit dem Atem seines Mundes, und werde ihn abschaffen durch die Erscheinung seiner Zukunft. Darum bittet er die Thessalonicher, durch die Zukunft des Herrn, daß sie sich weder durch Geist noch durch Worte, noch durch Briefe, als von ihm geschrieben, bewegen ließen, als wann der Tag Christi vorhanden sei. Allein diese finstere dilatorische Vertröstung, will doch nicht lange Stich halten. Denn soll der Sohn des Verderbens Kaiser Caligula oder ein anderer der folgenden sein, wie viele glauben, so wäre er denn doch bald offenbaret worden: warum wäre er denn nicht abgeschaffet durch die Erscheinung der Zukunft Christi? Soll es aber einer sein der ins andere oder in spätere Jahrhunderte fällt, so würde nicht erfüllet, was Jesus selbst soll gesagt haben, daß etliche derer, die bei ihm stunden, den Tod nicht schmecken würden, bis daß sie den Sohn des Menschen kommen sehen in sein Reich. Es würde nicht erfüllt, was Paulus selber an die damaligen Thessalonicher und Korinther geschrieben, daß etliche unter ihnen noch nicht entschlafen sein würden, wenn Christus mit der Posaune Gottes zu seinem Reiche in den Wolken kommen würde. Die Wahrheit ist, man mag Pauli Worte ziehen auf welche Geschichte man will, so schicken sie sich in der ganzen Historie zu keiner einzigen, und man kann fast nichts anders daraus denken, als daß er sich, um nur mit Ehren aus der Sache zu kommen, mit Fleiß ins Dunkle verstecket, damit die Aufhaltung der Zukunft Christi nach Belieben immer weiter hinausgesetzt werden könnte.

§ 44
Jedoch der gute Paulus verstehet die Kunst dilatorische Antworten zu geben noch nicht vollkommen. Petrus weiß es viel besser. Wisset, sagt er, daß in den letzten Tagen Spötter kommen werden, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln werden, und werden sagen: wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Dann von dem Tage an, da die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es vom Anfang der Schöpfung gewesen ist. Nach einigen Dingen, die dahin gar nicht gehören, antwortet er: Dieses einige aber sei euch unverhalten, Geliebte, daß ein Tag bei dem Herrn ist wie tausend Jahr, und tausend Jahr wie ein Tag. Der Herr verzeucht nicht die Verheißung, wie es etliche für einen Verzug achten; sondern er gebrauchet Langmütigkeit gegen uns. -- Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb in der Nacht etc. Es scheinen schon damals solche Spötter gewesen zu sein, weil Petrus hernach seine Gläubige warnet, daß sie sich für sie bewahren, und sich nicht von ihnen hinreißen lassen sollten. Wenn also auch noch Spötter sein sollten nach siebenzehn hundert Jahren, die da frügen, wo ist die Verheißung seiner Zukunft? so hat ihnen Petrus schon zum voraus geantwortet, daß sie nur ein wenig über anderthalb Tage des Herrn über die Gebühr gewartet haben, und daß dieser Verzug aus der Langmütigkeit entstanden sei. Wenn also die Zukunft Christi sich noch ein Paar tausend Jahre verziehet: Petrus hat dem Spötter schon begegnet, es ist falsch gerechnet, es sind nur ein paar Tage, die Christus zu ihrem Besten im Himmel gewartet hat, ehe er sich herabgelassen. Aber ich fürchte sehr, daß dergleichen Antwort den Spöttern am allerwenigsten, und andern vernünftigen, aufrichtigen Menschen auch keine Genugtuung geben wird. Die Sache muß gewiß sehr schlecht stehen, der man nicht anders als durch solche Stützen aufhelfen kann. Was soll der Spruch aus Psalm XC hieher? Christus bestimmt seine zweite Zukunft vom Himmel, nach der Evangelisten Bericht, so genau, daß noch etliche derjenigen, so damals bei Christo stunden, am Leben sein würden, wenn er aus den Wolken des Himmels wieder käme. Daher es ungereimt sein würde, diese Zukunft dadurch ins weite Feld zu schieben, daß tausend Jahre bei Gott sind wie ein Tag. Denn die Zukunft war ja nicht nach den Tagen Gottes, sondern nach den Tagen des Lebens der Menschen, nämlich der Umstehenden, bestimmet. Es ist überhaupt ungereimt, der Dauer Gottes Tage zuzuschreiben, wenn sie auch hundert tausend menschliche Jahre lang wären; soll aber dies auf menschliche Weise verstanden werden, warum macht Petrus dann ein menschlich Jahr zu tausend?

§ 45
Aber es war hie kein andrer Rat, als die genaue Bestimmung der Zeit in Vergessenheit zu bringen, gleich als ob sie gar nicht aufgezeichnet wäre; und hergegen einen so weiten Terminum zu setzen, den man bis in Ewigkeit hinausdehnen kann. Denn es müßten 365000 menschliche Jahre verlaufen, ehe ein göttlich Jahr zum Ende wäre: und dieser Verzug würde doch für keinen Verzug zu rechnen sein, weil bald die Langmut, bald andere Eigenschaft Gottes Ursache wäre, daß man seine Vorhersehung, Weissagung, und Wahrheit nicht so genau untersuchen dürfte. Unterdessen haben die Apostel bei der ersten einfältigen Christenheit so viel damit gewonnen, daß, nachdem einmal die Gläubigen eingeschläfert worden, und der eigentliche Terminus ganz verstrichen war, die folgenden Christen und Kirchenväter sich durch eitle Hoffnung bis in alle Ewigkeit hinhalten konnten. Wir lesen, daß der Evangeliste und Apostel Johannes, welcher zu Christi ganz jung war, und am längsten gelebet hat, sich noch für denjenigen ausgibt, der vielleicht Christi Zukunft erleben könnte. Er führet Petrum ein, daß er zu Jesu gesagt: was soll aber dieser? (Johannes?) Jesus habe geantwortet: so ich will, daß er bleibe bis ich komme, was geht es dich an? Jesus aber hätte nicht gesagt, daß er nicht sterben würde, wie hievon die Rede gegangen, sondern nur, so ich will, daß er bleibe bis ich komme, was gehet es dich an? Johannes schließet daher auch seine Offenbarung so: Es spricht der diese Dinge bezeuget: Ja! ich komme bald, amen. Ja komme, Herr Jesu! Die ersten Kirchenväter nach den Aposteln haben noch immer gehoffet, Christus würde zu ihren Zeiten erscheinen, und sein Reich auf Erden anfangen, und so ist es von einem Jahrhundert zum andern gegangen, so daß man endlich die unerfüllte Zeit der andern Zukunft Christi ganz in Vergessenheit gebracht, und die heutigen Theologi über diese Materie, weil sie ihren Absichten nicht förderlich ist, hinwischen, auch die Zukunft Christi aus den Wolken des Himmels auf einen ganz andern Zweck ziehen, als Christus selbst, und die Apostel gelehret haben. Wie viel sind, die heutiges Tages, da man mehr lernet was in dem Catechismo und den Compendiis Theologiae, als was in der Bibel stehet, daran einmal gedenken, daß die offenbar bestimmte Zeit der andern Zukunft Jesu längst vorbei gegangen sei, und daß also ein Hauptgrund des Christentums dadurch gänzlich unrichtig befunden werde? Wir sind nun durch die Länge der Zeit gewöhnet, uns die Zeit nicht mehr lange werden zu lassen, und die Zukunft Christi sogerne noch tausend Jahre weiter hinaus zu setzen, als man sonst gewöhnet ist, noch gerne einen Tag länger zu warten. Lasset uns nunmehro nicht über die Juden triumphieren. Hätten sie gleich so viel hundert Jahre über die gesetzte Zeit, auf die erste Zukunft des Messias vergeblich gewartet, was haben wir uns zu rühmen, da wir über die noch viel deutlicher gesetzte Zeit auf die andere Zukunft des Messias fast eben so lange, von einem tausend Jahre ins andere warten? Wollen wir sagen, tausend Jahre sind bei Gott ein Tag: warum haben sie weniger Recht, solche schöne Zeitrechnung für sich anzuwenden, da David im alten Testamente der Lehrmeister davon ist? Wir halten uns an die klaren dürren Worte, diese Generation wird nicht vergehen - etliche von denen die hier bei mir stehen, werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen den Sohn des Menschen kommen in sein Reich. Und wir glauben nicht, daß irgend eine Verheißung in der ganzen Schrift genauer bestimmet sei, noch etwas offenbarer durch die Tat selbst als falsch befunden werden könne.

Die beiden Facta und Sätze, Christus ist von den Toten auferstanden und wird in den Wolken des Himmels binnen gesetzter Zeit wiederkommen zu seinem Reiche, sind außer Streit die Grundsäulen, worauf das Christentum und das neue Systema der Apostel gebauet ist. Ist Christus nicht auferstanden, so ist unser Glaube eitel, wie Paulus selber sagt: und ist oder wird er nicht wiederkommen zur Vergeltung der Gläubigen in seinem Reiche, wie uns versprochen worden, so ist der Glaube eben so unnütze als er falsch ist. Man wird also aus der bisherigen Betrachtung wohl erkennen, daß ich nicht auf zufällige Nebendinge, sondern gerade zu auf das Wesen und die Hauptsache des Christentums gedrungen habe, da ich sowohl das alte Systema der Apostel von einem weltlichen Erlöser des Israelitischen Volkes, mit Jesus Absichten in Lehre und Wandel, nach dem Berichte der Evangelisten, zusammen gehalten, und gegründete Ursachen gefunden, zu glauben, daß solches allein wahr sei, und daß es bloß wegen fehlgeschlagener Hoffnung von den Aposteln verlassen worden: hergegen daß das veränderte neue Lehrgebäude der Apostel, von einem geistlichen Erlöser des menschlichen Geschlechtes, auf zweene vorgegebene Facta als Grundsätze aufgeführet worden sei, davon der vielfältige Widerspruch der Zeugen und die Tat selbst offenbar weiset, daß sie falsch und erdichtet sind. Hergegen will ich gerne jeden aufrichtigen Leser urteilen lassen, ob sie in allen den Büchern, so für die Wahrheit der christlichen Religion geschrieben sind, etwas gefunden haben, das meinen obangeregten Zweifeln nur einigermaßen Genüge tut, oder so begegnet, daß sie schon zum voraus beantwortet wären, und von selbst wegfallen müßten. Ich muß nach meiner Erfahrung gestehen, daß ich ein gut Teil, und zwar die besten derselben, ja noch eher als ich zu zweifeln anfing, gelesen; aber daß ich, seit dem mir durch eigenes Nachdenken Zweifel aufgestoßen sind, keinen einzigen derselben bei obgedachten Schreibern gründlich gehoben, sehr viele auch nicht einmal berühret gefunden. Wir müßten uns ja doch auf dem Wege einander begegnen, und wenn die Verteidiger gerade zu gingen auf die Hauptsache, und dieselbe klar und deutlich erwiesen hätten, so würde es nicht fehlen, daß meine vornehmsten und meisten Zweifel nicht zum voraus entkräftet und vernichtet wären, oder von selbst wegfielen. Ich sehe aber von dem Gegenteil keine andere Ursache, als daß gedachte Verteidiger des Christentums, den rechten Grund gar leise überhüpfen, und alle Kräfte ihres Verstandes und ihrer Redekunst auf Nebenumstände wenden, welche zwar dem Christentum einen Schein geben können, zumal bei Leuten die nichts gründlich zu untersuchen vermögend sind, aber die teils an sich unerweislich befunden worden, teils keinen sichern Schluß und Beweis von der Wahrheit des Christentums gewähren.

§ 46
Vielleicht wird dieses, was ich sage, manchem fremde dünken, der bisher Wunder gemeinet, was er für unwidertreibliche Gründe des Christentums bei solchen Schriftstellern gelesen. Allein ich will mich über das, was ich für wesentliche oder Nebendinge halte, und wie weit diese teils an sich zuverlässig sind, oder wie weit sie schließen, mit wenigen erklären. Wesentliche Stücke des Christentums sind die Glaubensartikul, wegen welcher Verleugnung oder Unwissenheit ich aufhören würde ein Christ zu sein: und dahin gehören ja wohl hauptsächlich die geistliche Erlösung Christi durch sein Leiden und Sterben: die Auferstehung vom Tode, als eine Bestätigung des vollgültigen Leidens: und die Wiederkunft zur Belohnung oder zur Strafe, als eine Frucht und Folge der Erlösung. Wer demnach diese ersten Grundsätze beweiset oder angreifet, der gehet auf das Wesen der Sache. Hergegen sind Nebendinge in Absicht auf das Christentum, die zwar mit dem Christentum bestehen können, aber doch keine Glaubensartikul ausmachen, noch mit demselben so genau verknüpft sind, daß die Glaubensartikul ohne solche Dinge unmöglich für sich bestehen, und mit solchen unmöglich fallen könnten. Dahin rechne ich erstlich die Wunder, worauf man jedoch gegenseits insonderheit dringt. Denn niemand wird behaupten können, daß die Wunder an sich einen einzigen Glaubensartikul ausmachen. Und gesetzt, die Glaubensartikul führten eine innre Glaubwürdigkeit, Beweis, oder Gewißheit mit sich, was dürften wir nach Wundern verlangen, um sie zu glauben? Demnach will Christus selbst die Wunder in Betrachtung des Glaubens als Nebendinge angesehen wissen, darum schilt er die für eine böse und verkehrte Art, die nicht glauben, wenn sie nicht Zeichen und Wunder sehen. Gesetzt die Facta, als die Auferstehung wäre nur an sich durch unwidersprechliche, geprüfte, einstimmige Zeugnisse genugsam glaublich gemacht, wie es billig sein sollte, so würde sie geglaubt werden können, ohne daß man von andern Wundern wüßte. Gesetzt, Christus wäre in der Tat in den Wolken des Himmels wiederkommen und führte noch sein Reich auf Erden, wie er nach der Verheißung hätte tun sollen, so brauchte es keiner Wunder solches zu beweisen. Setzen wir hergegen, daß obgedachte Facta teils auf verdächtige und sich selbst widersprechende Zeugen beruhen, teils offenbarlich nicht geschehen sind, oder daß Lehren einen Widerspruch in sich halten: so können das keine Wunder wieder gut machen. Einmal, weil die Wunder als übernatürliche Begebenheiten für sich eben so ungewiß und unglaublich sind, und eben so viel Untersuchung bedürfen, als das was sie beweisen sollen: und zum andern, weil darin an sich nichts enthalten ist, woraus der Schlußsatz folgt: ergo ist das und jenes Geschehen: ergo ist diese oder jene Lehre wahr: ergo ist dies oder das kein Widerspruch.

§ 47
Ich sage einmal, die Wunder an sich brauchen eben so viele Untersuchung ob sie wahr sind, als das was dadurch soll bewiesen werden. Wir haben schon bei der Historie Mosis und folgender Zeiten gesehen, daß es ihren Schreibern keinen Verstand, Kunst oder Mühe koste, Wunder zu machen, und daß es bei dem Leser noch weniger Verstand erfodere, sie zu glauben. Der Schreiber macht alles Vieh Pharaonis dreimal nach einander tot, so daß kein einziges überblieben sei; und also sind immer frische wieder da in seiner reichen Einbildungskraft, daß sie aufs neue können erschlagen werden: wo sie hergekommen sind, da bekümmert er sich nicht um. Er gibt denen Israeliten hergegen all ihr Vieh mit auf den Weg, daß keine Klaue dahinden bleibt: und dennoch, wenn er Wunder machen will, so ist keins da, so leiden sie alle Augenblick Hunger, und es muß Fleisch regnen. Er bringt dreißig mal hundert tausend Menschen, mit Weibern, Schwangern, Kindern, Säuglingen, mit Alten und Kranken, Lahmen und Blinden, mit Gezelten und Bagage, mit Wagen und Geräte, mit 300000 Rindern, und 600000 Schafen in stockfinsterer Nacht, in drei Stunden ganz und wohlbehalten über den ausgetrockneten Boden einer See, die wenigstens eine teutsche Meile muß breit gewesen sein, deren Boden hie von Moos und Schlamm, dort von Sand oder Korallen-Stauden, hie von Klippen, dort von Inseln unwegsam ist. Es kostet ihm weiter kein Bedenken, wie das möglich ist, genug er denkt und schreibt sie in einer Nachwache hinüber. Er lässet um seinen siegenden Israeliten zu leuchten, die Sonne 24 Stunden stille stehen. Was daraus in der Welt für ein Zustand geworden wäre, davon ist die Frage gar nicht: es kostet ihm nur ein Wort, so stehet die Sonne und ganze Maschine der Welt. Er bläset und schreiet die festesten Mauern herum, ob er gleich die verzweifelten eisernen Wagen weder wegschreien kann, noch still stehen heißen. Er verwandelt die Dinge eins ins andre nach seinem Gefallen, Stäbe in Schlangen, Wasser in Blut, Staub in Läuse. Er lässet das Wasser wider sein Wesen und Natur aufgetürmet stehen ohne Haltung, oder aus einem dürren Fels mit einem Stabe herausschlagen. Er macht eine Welt, darin die Menschen durch die Luft fliegen, darin ein Esel, ein Engel und ein Mensch ein Gespräch mit einander halten. Mit einem Wort, die ganze Natur stehet ihm zu Gebote, er bildet sie wie er will, aber auch wie einen Traum, Märlein und Schlaraffenland, ohne Ordnung, Reguln, Übereinstimmung, Wahrheit und Verstand. So daß der einfältigste Schreiber fähig ist, dergleichen Wunder zu machen, und daß man allen Reguln eines gesunden Verstandes entsagen muß um sie zu glauben, gleichwie denn die Geschichtschreiber sich selbst verraten, daß sie zu denen Zeiten da sie geschehen sein sollen, nimmer bei den Israeliten selbst Glauben gefunden.

§ 48
Die Wunder im Neuen Testament, sind zwar nicht durchgehends so gewaltig und abscheulich, sondern sie bestehen guten Teils in Heilung der Lahmen, Blinden, Tauben, Kranken, Besessenen; aber die Schreiber verwickeln sich doch auch hin und wieder in offenbaren Widerspruch, nirgend aber gewähren sie uns eine Nachricht der Umstände, und zuverlässige Untersuchung, daraus man urteilen könnte, ob das was etwa geschehen ist, ein wahres Wunder gewesen. Sie schreiben alles nur so platt und trocken hin, und setzen denn ein Siegel des Glaubens darauf: Wer glaubet wird selig werden, wer aber nicht glaubet der wird verdammt werden. Jesus selbst konnte keine Wunder tun, wo die Leute nicht vorher glaubten: und wenn verständige Leute nämlich die Gelehrten und Obrigkeiten damaliger Zeit, Wunder von ihm verlangen, die einer Untersuchung könnten unterworfen werden, so fängt er, statt solche vor ihren Augen zu tun, an zu schelten: so daß kein Mensch von dieser Gattung an ihn glauben konnte. Dreißig bis sechzig Jahre nach Jesu Tode kommen erst Leute, welche diese Wunder, als geschehen in die Welt hinein schreiben, in einer Sprache, die ein Jude in Palästina nicht verstand, zu einer Zeit, da die Jüdische Nation und Republik in der größten Verwirrung und Unruhe war, und da sehr wenige, die Jesum gekannt hatten, mehr lebten. So daß ihnen nichts leichter sein konnte, als Wunder zu machen so viel als ihnen beliebte, ohne daß ihre Handschriften so leicht bekannt oder verstanden, oder widerlegt werden konnten. Denen Bekehrten aber ward es vom Anfang eingeprägt, daß es ein Verdienst und seligmachend Werk sei zu glauben, und seine Vernunft gefangen nehmen unter dem Gehorsam des Glaubens; und daher war bei ihnen so viel Glaubwürdigkeit, als bei ihren Lehrern Pia Fraus, oder Betrug aus guter vorgegebener Absicht; welches beides bekanntermaßen bei der ersten christlichen Kirche in höchsten Grad geherrschet hat. Wiewohl allerdings auch andere Religionen voller Wunder sind, die aus keinen bessern Quellen geflossen. Das Heidentum selbst rühmt sich vieler Wunder, der Türke beruft sich auf Wunder, keine Religion und Secte ist arm an Wundern. Und eben dieses macht auch die Wunder des Christentums ungewiß: ob die Facta würklich geschehen, ob die Umstände dabei so beschaffen gewesen, wie erzählet wird, ob es auch natürlich, oder durch Kunstgriffe und Betrügerei, zugegangen, oder ob es so von ohne gefähr zusammen getroffen? u.s.w. Wer die Sachen und Geschichte inne hat, wird wohl sehen, daß ich die Wahrheit schreibe: aber ich verlange hier von denen, welche davon kein Erkenntnis haben, noch nicht, daß sie mir Recht geben. Unterdessen habe ich ihnen doch die Zweifel, welche Verständigen bei denen Wundern des Neuen Testaments einzufallen pflegen, vorhalten müssen, daß wenn sie diese Zweifel nicht zu beantworten wissen, sie wenigstens erkennen, daß Wunder keine so gewisse Facta sind, wodurch man die Wahrheit anderer nicht vor sich glaublicher Factorum oder Lehren beweisen und in Gewißheit setzen könne: Und daß folglich diejenigen, welche das Christentum auf Wunder bauen wollen, nichts festes oder inneres und wesentliches zum Grunde legen.

§ 49
Es ist schon ein Zeichen, daß eine Lehre oder Geschichte keine innre Glaubwürdigkeit hat, wenn man sich um deren Wahrheit zu beweisen auf Wunder berufen muß. Aber die Wunder halten auch an und vor sich keinen Grundsatz in sich, worin nur ein einziger Glaubens-Artikul oder Factum als ein Schlußsatz enthalten wäre. Es folget nicht, ein Prophet hat Wunder getan; also hat er wahr geredet: weil auch falsche Propheten und Zauberer Zeichen und Wunder getan, und falsche Christi solche Wunder verrichtet, dadurch auch die Auserwählten konnten verführet werden. Es folget nicht: Jesus hat einen Blinden sehend, einen Lahmen gehend gemacht: ergo ist Gott dreieinig in Personen, ergo ist Jesus wahrer Gott und Mensch. Es folget nicht, Jesus hat Lazarum vom Tode erwecket, und folglich ist er auch selbst vom Tode auferstanden. Was brauchen wir von der Hauptsache abgeführet, und auf was äußerliches gewiesen zu werden, da wir in der Sache selbst Merkmale genug haben, wodurch sich das Wahre vom Falschen unterscheiden lässet? und da diese Merkmale sich durch tausend äußere Wunder nicht auslöschen lassen? Die untrieglichen Merkmale des Wahren und Falschen sind, klare und deutliche Übereinstimmung, oder Widerspruch: welche so ferne auch bei einer Offenbarung gelten müssen, als sie dieses mit allen Wahrheiten gemein hat, daß sie vom Widerspruch frei sein muß. Und so wenig sich durch Wunder beweisen lässet, daß zweimal zwei fünfe machen, oder daß ein Dreieck vier Winkel habe: so wenig kann ein Widerspruch, der offenbar in den Lehrsätzen und Geschichten des Christentums liegt, durch eine Menge von Wundern gehoben werden. Lasset Jesum, lasset die Apostel noch so viele Blinde und Lahme gesund gemacht, und so viele Legionen Teufel ausgetrieben haben; dadurch heilen sie den Widerspruch in ihrem Systemate von dem Messias, und in ihren wider einander laufenden Zeugnissen von seiner Auferstehung und Widerkunft nicht: der Widerspruch ist ein Teufel und Vater der Lügen, der sich nicht austreiben lässet, weder durch Fasten noch Beten, noch Wunder. Lasset durch diese wundertätige Leute geschehen sein was da will, sie können dadurch nicht machen, daß nicht geschehene Dinge geschehen sind, daß Christus in den Wolken des Himmels wiederkommen sei, ehe alle die vor seinem Tode bei ihm stunden, den Tod geschmecket. Kein Wunder beweiset, daß der Spruch, aus Ägypten hab ich meinen Sohn gerufen, von Christo handle, oder daß es in der Schrift bei irgend einem Propheten stehe: er soll Nazarenus heißen.

§ 50
Was ich von den Wundern gesagt, daß sie an sich ungewiß sind, und daß sie den Beweis der Wahrheit nicht in sich halten: eben das muß ich auch von den Prophezeiungen sagen, worauf die Verteidiger des Christentums dringen. Wenn eine Weissagung sollte gewiß sein; so fordere ich billig, daß sie buchstäblich, klar, deutlich und bestimmt vorher sage, was zum voraus kein Mensch wissen kann, und daß solches hernach auf dieselbe Zeit eintreffe, aber auch nicht darum eintreffe, weil es vorher gesagt ist. Wenn aber die vorgegebene Weissagung bloß durch allegorische Deutung der Sachen und Wörter kann herausgebracht werden: wenn sie in dunkeln zweideutigen Worten verfasset ist: wenn die Ausdrückungen nur allgemein, vage und unbestimmt lauten: wenn die Sache durch menschlichen Witz vorher zu sehen, oder zu mutmaßen war: wenn sie eben darum geschiehet, weil sie vorher gesagt war: oder wenn die Worte eigentlich von ganz was anders reden, und nur durch ein Wortspiel auf das geweissagte gezogen werden: wenn es nach der geschehenen Sache erst niedergeschrieben ist, daß es vorher gesagt sei, oder ein prophetisch Buch oder Stelle für älter ausgegeben als sie sind: oder endlich das vorhergesagte nicht eintrifft: so sind die Prophezeiungen teils ungewiß, teils falsch. Wenn wir nun nach diesen Kennzeichen eine Untersuchung der Weissagungen Altes Testaments, worauf man sich im neuen beziehet, anstellen: so findet sich offenbarlich von den meisten, daß sie nichtig und falsch sind. Die klaren sind nicht eingetroffen, als daß der Messias auf dem Stuhl David auf dem Berge Zion sitzen, und von einem Meere zum andern, ja bis an der Welt Ende regieren sollte: und was sonst von dem weltlichen Reiche des Erlösers Israels geweissaget worden. Andere Weissagungen sind mit einem bloßen Wortspiel herbeigezogen, und reden eigentlich von ganz was anders; davon ich kurz vorher ein Paar Exempel angeführet. Und ich will zu seiner Zeit zeigen, daß nicht ein einziger Spruch, den Matthäus z. E. auf die Geschichte Jesus deutet, in dem Verstande, von den Schriftstellern altes Testaments geschrieben sei, worin ihn Matthäus anwendet. Andre Stellen altes Testaments enthalten Dinge, welche bloß durch eine Allegorie auf Christum gezogen werden, als das Zeichen des Propheten Jonas der drei Tage und drei Nächte im Bauche des Wallfisches gewesen, und der Spruch: ich will sein Vater sein, er soll mein Sohn sein. So daß auch unsere Herren Theologi in dergleichen Stellen keinen andern Rat wissen, als sich in einen Circul zu begeben, nämlich das neue Testament und dessen Lehre, durch die Weissagungen des Alten, und daß dieses im alten Testament gesagt oder gemeinet sei, durch das neue, nämlich durch die Zeugnisse des heiligen Matthäi, Pauli etc. zu beweisen. Andere Dinge haben mit Fleiß deswegen von Christo geschehen können, damit erfüllet würde was gesagt ist, als: siehe, dein König kommt reitend auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Mit einem Worte, ich könnte überhaupt sagen, es ist keine einzige vorgegebene Weissagung worauf man sich im Neuen Testament beziehet, die nicht falsch wäre. Wenn ich aber gelinde reden will, so erhellet doch wohl, daß sie alle sehr ungewiß und zweifelhaft, und von solchen Schreibern, welche so mit Worten und Sachen spielen, nicht ohne genaue Untersuchung anzunehmen sind.

§ 51
Nun kann man leicht gedenken, wie die Folgerung auf allen Seiten hinket. 1) Indem der Beweis aus Weissagungen, welche nicht klärer und deutlicher sind als die obangeregten im neuen Testamente, in einen Circul laufen, eine Petitionem Principii begehen muß. Der Satz des Christentums aus Paulo ist: Jesus von Nazareth ist Gottes Sohn. Woher das? Denn es stehet geschrieben. Ich will sein Vater sein und er soll mein Sohn sein: du bist mein Sohn, heute hab ich dich gezeuget. Aber mich dünkt, jenes rede vom Salomon, dieses vom David. Ja, wenn das auch wäre, so stellet es doch unter dem Vorbilde Davids und Salomons eine weit höhere Person vor. Es ist gut: aber woher kann ich das wissen? erklären sich die Schreiber altes Testaments darüber? Das wohl nicht; aber der heilige Apostel Paulus, aus Eingeben des heiligen Geistes, weiset uns den höheren Verstand und das Gegenbild, worauf es zielet. So ist denn Pauli Lehre wahr, weil sie Paulus saget: und so gehet es mit hundert andern Stellen mehr; nämlich überhaupt bei allen, daraus man nichts eher für das Christentum folgern kann, bis man aus dem Christentum selbst annimmt, daß sie einen allegorischen Verstand haben, der auf das Christentum ziele. 2) Gesetzt der Verstand der Stellen Altes Testaments sei an sich und überhaupt recht getroffen: so folget doch noch bei weiten nicht, daß Jesus von Nazareth damit gemeinet sei. Gesetzt der Messias sollte aus Bethlehem kommen: sind denn alle die aus Bethlehem entsprossen sind, Messiasse? Gesetzt der Messias sollte aus Ägypten kommen: sind denn alle die aus Ägypten kommen sind, darum Messiasse? Gesetzt er sollte in Nazareth wohnen: kann darum einer der sich in Nazareth aufhält, sagen, also bin ich der Messias? Ja, wird man sagen, wenn so viele, wenn alle Kennzeichen bei einer Person eintreffen: so ist auch die Person, und keine andere gemeinet. Allein ich fürchte, wir kommen wieder in den vorigen Circul. Die Schreiber des Neuen Testaments haben die Lebens-Umstände Jesu, dergleichen ich jetzt etliche erzählet habe, als wahre Geschichte, an ihm bemerket. Nun haben sie einen Messias aus ihm machen wollen. Darum haben sie diese Lebens-Umstände als prophezeiet und an Jesu erfüllet vorgestellet: und da solche Prophezeiungen die das in der Tat sagten, nicht zu finden waren, so haben sie durch ein Wortspiel, und durch Allegorien bald diese, bald jene Stelle des Alten Testaments dahin gedrehet: und wenn man denn nicht finden kann, daß das in dem Verstande gesagt werde und auf den Messias oder besonders auf Jesum ziele: so läuft es doch endlich darauf hinaus: wir müssen es glauben, daß das der Verstand der Weissagungen sei, weil es die Schreiber des Neuen Testaments uns so erklären. Es ist 3) eine schlechte Folgerung: dieses und jenes ist von dem Messias der Juden vorhergesagt worden: ergo ist es von Jesu erfüllet und geschehen. Das heiße ich zweene Sätze zugleich erschleichen, davon eben die Frage ist. Ich würde so schließen: dies und das ist geschehen, und vorher gesagt, ergo ist die Vorhersagung in dem Geschehenem erfüllet. Es muß nämlich zuvor bewiesen sein, daß dieses und jenes von einer gewissen Person geschehen sei, und daß solche Tat oder Begebenheit von der Person zuvor verkündiget sei: alsdenn kann man erst annehmen, daß die Prophezeiung wahr sei, und daß sie an der Person erfüllet worden. So lehret uns Moses selbsten schließen. Wer aber von der Prophezeiung anfängt, und voraussetzet, daß sie habe eintreffen und wahr werden müssen; wer die Facta nicht erst beweiset, daß sie wirklich geschehen sind, sondern aus der, als wahr angenommen Prophezeiung erweiset, der erschleichet beides wovon die Frage ist. Z. E. Laß es sein, daß von dem Messias vorher gesagt sei, er würde Wunder tun, Blinde sehend, Lahme gehend machen; er würde vom Tode wieder aufstehen: folgt denn darum, daß es wahr prophezeiet sei?

§ 52
Ein jeder geübter Leser wird leicht einsehen, daß ich die häufig erzählten Wunder der Apostel, ihre vorgegebene Ehrlichkeit und Frömmigkeit im Erzählen, in ihren Lehren und Leben, ihren Martyr-Tod den sie über ihrem Bekenntnis ausgestanden, und endlich den schleunigen Wachstum des Christentums und worauf man den Beweis des Christentums mehrenteils ankommen läßt, als lauter Nebendinge ansehe, welche die Wahrheit der Hauptsache gar nicht ausmachen. Denn wenn ich auch jetzt unerörtert lassen will, ob ein jedes dieser Stücke auch an sich erweislich und angezweifelt sei, oder wie es zugegangen, so ist doch offenbar genug, daß keines von diesen allen das Wesen der Sache rühre, oder die Zweifel und Anstöße hebe und gut mache. Viele andere Religionen haben dergleichen zweideutige Beweisgründe vor sich; die Folgen die man daraus für die Wahrheit einer Religion ziehen will, sind nicht bündig; und wo klare Kennzeichen der Falschheit sind, da vermögen sie gar nichts. Tausend vorgebliche Wunder können mir keinen einzigen klaren Widerspruch bei der Auferstehung, der mir vor Augen liegt, heben und gut machen: alle Frömmigkeit und Heiligkeit der Apostel kann mir nicht wahr machen, Jesus sei, noch ehe die bei ihm stehende alle gestorben, in großer Kraft und Herrlichkeit sichtbar wieder vom Himmel gekommen und habe sein herrlich Reich auf Erden aufgerichtet: alle Märtyrer mit aller ihrer ausgestandenen unerhörten Qual beweisen mir nicht, daß der Spruch: aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen, von Jesus aus Nazareth gemeinet sei, oder daß der Satz, er soll Nazarenus heißen, in der jetzt vorhandenen Schrift Altes Testaments stehe: und wenn noch so viel Leute zu einer Meinung und Religion getreten sind; so sehe ich daraus nicht, daß sie dazu Recht gehabt, und ihre Wahl mit Vernunft und Überlegung getroffen. Da mir also durch alle diese Dinge in der Hauptsache kein Licht, noch Auflösung meiner Zweifel gegeben werden kann, so mag ich auch mich durch deren besondere Betrachtung von meinem geraden Wege nicht abkehren lassen; und ich glaube, meine Leser werden es nicht einmal verlangen, daß ich hier ohne Not ausschweifen und meine Gedanken von einem jeden eröffnen solle, weil alles bei reiferer Betrachtung des vorigen von selbst wegfällt, sondern sie werden gar wohl zufrieden sein, wenn ich bloß so viel von einem jeden berühre, als mir in meinem Wege begegnen und etwa hinderlich zu sein scheinen wird. Jetzt ist aber Zeit nachzuforschen, was doch der Jünger Jesu ihre wahre Absicht, bei Erdichtung ihres neuen Lehrgebäudes gewesen, und wie sie dasselbe nach und nach ausgeführt, welches ich aus der Zusammenhaltung aller Umstände gründlich untersuchen und, so weit es will möglich sein, ausfindig zu machen suchen will.

§ 53
Die Apostel waren anfangs mehrenteils geringe, und schlecht bemittelte Leute, die sich mit Fischen oder anderer Hantierung nach Notdurft nähreten: es sei nun daß sie nichts anders als ihr Handwerk gewußt, oder daß sie nach Art der Juden bei dem Studieren, ein Handwerk daneben getrieben, dazu sie nur im Fall des Mangels der Nahrung griffen, wie Paulus ein solcher Gelehrter war, der bei Notfällen seinen Unterhalt vom Teppichmachen zu suchen pflegte. Wie sie nun sich entschlossen Jesu nachzufolgen, verließen sie ihr Handwerk und alles Geräte gänzlich, und höreten Jesum lehren, gingen allerwärts mit ihm herum, oder wurden auch von ihm hie und da in die Städte Israel ausgesandt zu verkündigen, daß das Himmelreich nahe herbeikommen wäre; wie denn ihrer zwölfe vor andern ausdrücklich dazu abgesondert wurden, daß sie sollten Boten des Reichs Gottes werden. Wir brauchen hiebei keiner Schlüsse und Folgerungen, was damals die Apostel bewogen habe, alles zu verlassen und Jesu nachzufolgen, denn die Evangelisten geben uns die ausdrückliche Nachricht, daß sie die Hoffnung gemacht, Jesus würde als Messias ein weltlich Reich aufrichten, oder König in Israel werden, und sich auf den Stuhl Davids setzen. Dabei war ihnen von Jesus selbst die Verheißung gegeben, daß sie auch alsdenn auf zwölf Stühlen sitzen und die zwölf Geschlechte Israel richten sollten; ja sie saßen schon in ihren Gedanken darauf so feste, daß sie bereits zum voraus unter einander um die Oberstelle, und vornehmste Gewalt nach Jesu stritten, der eine wollte zu seiner Rechten der andre zur Linken sitzen: und sie wußten Jesu inzwischen ihre Verdienste gegen ihn anzurechnen, daß sie alles verlassen und ihm nachgefolget wären, frugen also, was ihnen davor würde? und wie Jesus sie vertröstet, daß so jemand um seinetwillen Äcker oder Häuser oder dergleichen verlassen habe, der solle es hundertfältig wieder haben: da geben sie sich auf künftige Hoffnung zufrieden, und sind nur nach der Zeit und Stunde begierig, wenn er sein Reich anfangen würde, und diese Erwartung währte so lange, bis die Hinrichtung Jesu ihnen alle diese eitle Hoffnung auf einmal darnieder schlug, sie klagen: Wir hofften, er sollte Israel erlösen! Es braucht also keines Beweises, sondern ist aus ihren Nachrichten klar, daß die Apostel und alle Jünger Jesu sich durch lauter zeitliche Absichten, nämlich teils der Hoheit und Herrschsucht, teils reicher Vorteile an Gütern, bewegen lassen, Jesu als einem weltlichen Messias nachzufolgen; und daß sie diese Hoffnung und Absicht bei seinem Leben nimmer fahren lassen, sondern noch nach seinem Tode äußern. Dieses muß also ein jeder bis dahin notwendig zugestehen, und niemand kann es ohne größte Unverschämtheit ableugnen. Nun ändert sich schleunig der Jünger Jesu Lehrgebäude, ändern sich darum auch ihre Absichten? Nein, vielmehr da sie bloß wegen ihrer fehlgeschlagenen Hoffnung und Absichten ein neues Lehrgebäude aufrichten, daran sie noch kurz nach Jesus Tode gar nicht dachten, und das offenbar falsch und erdichtet scheinet, so können wir auch nicht anders denken, als daß sie bei ihren bisher gehegten Absichten geblieben, und sie nur bloß auf eine andere Weise, so gut es sich tun lassen wollte, zur Erfüllung zu bringen gesucht. Wenn wir ihr neues Lehrgebäude noch nicht untersucht hätten, ob es wahr oder falsch sei, sondern nur ihre vorhergehende Gemütsverfassung und Begebenheit wüßten, nämlich daß sie bisher beständig nach weltlicher Hoheit und Vorteilen in einem weltlichen Reiche Jesu getrachtet, daß ihnen diese Absicht mit dem Tode Jesu fehl geschlagen, daß sie darauf ein neues Lehrgebäude von Jesu als einem geistlichen leidenden Erlöser aufgebracht, daran sie vorher nicht gedacht hatten, und daß sie sich für Boten und Lehrer dieses neuen Evangelii aufwerfen, so hätten wir schon billig einen Argwohn auf sie zu werfen, ob sie nicht bloß in ihrer vorigen Absicht vorgäben, weil es viel wahrscheinlicher ist, daß ein Mensch aus eben den Hauptabsichten fortfahre zu handeln, darnach er vorhin allezeit unstreitig gehandelt hat, als daß er dieselbe fahren lassen und verändern sollte. Allein nun sind wir einen geradern Weg gegangen; wir haben den Grund neuen Lehrgebäudes an sich schon oben weitläuftig untersucht, und alles offenbar erdichtet und falsch befunden: und dadurch erhält es alle mögliche Gewißheit in dieser Art, daß die Apostel dabei nichts anders als ihre alte Absichten, nämlich weltliche Hoheit und Vorteile gehabt. Denn die wissentliche vorsätzliche Erdichtung einer falschen Begebenheit, kann nicht anders als aus einem vorhergehenden Willen, und aus einem Zweck oder Absicht die schon in dem Gemüte ist, entspringen. Wer mit Fleiß etwas falsches erdichtet, muß eine Absicht dabei haben, damit er vorher schon schwanger gegangen, ehe er etwas aussinnet das seine Absicht befördern soll: und je dreister und wichtiger diese Erdichtung ist, desto tiefer muß vorher der Vorsatz in dem Gemüte eingewurzelt sein, und desto mehr muß sie dem Menschen am Herzen liegen. Da nun der Apostel neues Lehrgebäude erdichtet ist, so haben sie es auch in einer Absicht, die schon vorher in ihrem Gemüte und Willen war, und damit sie schon lange schwanger gegangen, ersonnen. Nun ist der Apostel vorhergängige Absicht beständig und bis an diese Erdichtung auf weltliche Hoheit und Vorteile gerichtet gewesen. Folglich hat es alle moralische Gewißheit, daß die Apostel ihr neues Lehrgebäude aus voriger Absicht auf weltliche Hoheit und Vorteile erdichtet haben. Wir dürfen auch nicht zweifeln, daß alle Umstände ihrer Handlungen diesen Schluß bewahren werden.

§ 54
Anfangs regierte wohl nach Jesus Tode bei den Jüngern lauter Angst und Furcht, daß sie auch möchten verfolget und zur Strafe gezogen werden, weil sie Anhänger eines Mannes gewsen, der sich zum Könige hatte aufwerfen, und das Volk wider den hohen Rat aufwiegeln wollen. Denn so kühn sie gewesen waren mit Jesu in den Tod zu gehen, und wohl gar mit dem Schwert drein zu schlagen: so feig wurden sie, als sie sahen, daß es mit seiner Verfestung und Hinrichtung ein Ernst werden wollte: sie verließen ihn alle und flohen, und Petrus, der sich noch so viel erdreistet von ferne zuzusehen, was aus dem Handel werden wollte, verleugnet seinen Meister dreimal und mit einem Meineide, daß er ihn nicht kenne und nichts von ihm wisse. Denn die Sache lief ganz wider ihre Absicht: ihre zwölf Stühle, darauf sie sitzen und richten wollten in Jesu Reiche, waren mit einmal umgestoßen, und sie verlangten nunmehr weder zu seiner Rechten noch zu seiner Linken zu sein. Diese Furcht währte noch eine Weile nach Jesus Tode: sie lassen die Weiber mit Joseph und Nicodemus sein Begräbnis beschicken, und entfernten sich auch von der letzten Pflicht: sie hielten sich heimlich zusammen in verschlossenen Türen aus Furcht vor den Juden, und ihre gemeinschaftliche Not und Anliegen machte, daß sie stets einmütig bei einander waren. Es wagt es aber bald einer oder andere auszuschlüpfen; sie hören, daß weiter keine gerichtliche Nachfrage nach ihnen geschiehet: sie merken, daß die Obrigkeit, nach der Hinrichtung Jesu, als der Hauptperson, seinen Anhang nicht groß achtet, oder auch für Pilatum nicht weiter gehen kann: sie schöpfen bald Mut, und denken nunmehr nach überstandener Gefahr auf ihr künftiges Glücke. Was sollten sie nun weiter beginnen? Wollten sie zu ihrer vorigen Hantierung weiter greifen, so wartete lauter Dürftigkeit und Beschimpfung auf sie. Dürftigkeit; denn sie hatten alles, und insonderheit ihr Handwerkszeug, ihre Netze und Schiffe verlassen, und waren der Arbeit entwöhnet. Beschimpfung; weil sie von ihren hohen Gedanken gewaltig herunter gesetzt waren, und da sie allenthalben durch Jesu Nachfolge bekannt worden waren, so würde ein jeder mit Fingern auf sie gewiesen haben, daß aus den vermeinten Richtern Israels und nächsten Freunden und Ministern des Messias nun wieder arme Fischer und wohl gar Bettler geworden wären. Beides war ihnen notwendig, als das völlige Gegenteil ihrer beständig gehegten Absichten und Hoffnung, höchst empfindlich und zuwider. Sie hatten hergegen unter ihrem Meister schon einen kleinen Vorschmack gehabt, daß das Lehren Ansehen gäbe und nicht unbelohnet blieb. Jesus selbst hatte von sich nichts. Die alten Nachrichten sagen, daß er sich bis an sein Lehramt mit einem Handwerk genähret. Das legt er aber im 30sten Jahre bei Seite, er fing an zu lehren. Dieses versprach ihm zwar keinen ordentlichen Gehalt (denn das war bei den Juden nicht gebräuchlich) allein darum durfte er nicht darben. Man war mit milden Gaben gegen die Lehrer desto freigebiger. Wenn er sich zu Jerusalem oder in einer andern großen Stadt aufhielte, so lud ihn Freund und Feind fleißig zu Gaste, so daß daher auch die Nachrede entstand, er wäre ein Fresser und Weinsäufer, und er entsehe sich nicht auch mit Zöllnern und Sündern zu essen; insonderheit waren viele Marthaen die sichs recht sauer werden ließen, ihm gute Speisen zu bereiten. Wenn er auch reisete, so zogen diese guttätigen Weiber als Maria Magdalena, Johanna das Weib Chusa des Schaffners Herodis, und Susanna, und viele andre mit, die ihm Handreichung taten von ihrer Habe, wie Lucas berichtet VIII. 1. bis 3. Man versorgte ihn also nicht allein mit Essen sondern auch mit Gelde, und Judas, der den Beutel trug, war der Kaßmeister, der hie und da auf den Reisen wo es ja nötig war, kaufen, bezahlen, und Rechnung tun mußte. Wo nun Jesus speisete, da speieseten die Jünger mit, wo Jesus reisete, da zehrten die Jünger aus einem gemeinschaftlichen Beutel, so daß die milden Gaben, die Jesus bei seinem Lehramt bekam, wenigstens für 13 Personen zureichlich waren. Und die Apostel waren einmal bei Jesus Leben, gleichsam als zum Versuch, daß man bei dieser keinen Mangel haben könne, selbandre durch alle Städte Juda zur Verkündigung des Reichs Gottes ohne Tasche oder Beutel ausgesandt, und wie sie nach ihrer Zurückkunft gefragt wurden, ob sie auch je Mangel gehabt? so mußten sie gestehen, sie hätten nie keinen verspüret. Also hatten sie schon einen Vorgeschmack, daß das Lehramt, zumal die Verkündigung des Messias niemand darben lasse. So verhielt sichs auch mit der Ehre und Hoheit. Denn sie hatten gesehen, daß alles Volk Jesu wegen seiner Lehre nachgelaufen war, sie waren selbst schon einiger maßen in Achtung bei dem Volke, weil ihr Meister sie als geheime Jünger, die mehr als andre zu wissen bekämen, von dem Pöbel unterschieden, sie hattens selbst erfahren, als sie das Reich Gottes als Boten und Gesandten des Messias verkündiget: überhaupt wußten sie auch, wie viel damals das Ansehen der Lehrer bei den Juden galt, indem die Pharisäer als die vornehmsten Lehrer ihre Aussprüche statt der prophetischen gelten machten, und das Volk gewöhnet hatten, dieselbe blindlings anzunehmen. Dieses Ansehen konnte noch um so viel höher steigen, wenn einer bei diesen Zeiten, da sonst Prophezeiung und Wunder aufgehöret hatten, sich den Schein zu geben wußte, als ob er göttliche Offenbarungen bekommen, und Wunder tun konnte: und niemand konnte es höher treiben, als wer sich der allgemeinen Erwartung eines Messias zu Nutze machte, dessen baldige Zukunft lehrte, und die Leute glauben machte, daß er zu dessen Himmelreiche die Schlüssel führe. Es ist in der menschlichen Natur nicht anders: wer die Leute erst überreden kann, daß er ihnen den Weg zur höchsten Glückseligkeit, den andere nicht wissen oder davon alle andere ausgeschlossen, zeigen, und öffnen, aber auch wieder versperren kann: der wird eben dadurch Meister über alles übrige, was denen Menschen sonst lieb ist, über seine Gedanken, über seine Freiheit, über seine Ehre und Vermögen: es ist nunmehr alles andre gegen diese große und süße Hoffnung ein geringes. Wenn wir zum voraus einen Blick in der Apostel nachmaliges Betragen tun dürfen, so weiset der Verfolg, daß die Apostel wirklich in alle diese Wege zum hohen Ansehen getreten sind, und sich so viel Macht über die Gemeinen als immer möglich herausgenommen; sie schreiben ihnen sowohl in ihrem Concilio sämtlich, als jeder besonders im Namen des heiligen Geistes vor, nicht allein was sie glauben, sondern auch was sie tun und lassen, essen und trinken sollen: sie keiffen, sie drohen, als aus Macht, sie tun in den Bann, und übergeben die Leute dem Satan, sie setzen ihnen Bischöfe, Vorsteher, Ältesten, sie nötigen die Leute alle ihre Habe zu verkaufen, und das Geld zu ihren (der Apostel) Füßen zu legen, und dann teilen sie dieselbe wieder nach Gefallen aus, daß auch die, so vorhin die Güter besessen, nunmehro ihrer Gnade leben mußten; geschweige daß andre so nichts gehabt, nunmehro allein auf der Apostel mildreiche Hände sehen: und wo sie dergleichen Gemeinschaft der Güter nicht einführen konnten, da wußten sie die Beisteuren so triftig anzudringen, daß es noch als ein geringes angesehen ward, daß sie denen, wodurch sie der geistlichen und himmlischen Güter teilhaftig worden waren, etwas von ihren leiblichen Gütern mitteileten.

§ 55
Die Apostel hatten demnach nicht allein aus der vorigen Erfahrung Vorschmacks genug, daß sich bei dem Lehramt und bei der Verkündigung vom Reiche des Messias, außer zureichlichen Unterhalt, Ehre, Hoheit und Macht erwerben lasse; sondern sie besaßen auch, (wie ihre nachmalige Aufführung zeiget) Verstand genug, sich alle diese Vorteile aufs beste zu Nutze zu machen. Kein Wunder also, daß sie nach ihrer einmal fehlgeschlagenen Hoffnung auf die Hoheit und Vorteile im Reich des Messias den Mut nicht alsofort sinken lassen, sondern sich durch eine kühne Erfindung einen neuen Weg dazu bahnen.

§ 56
Wir haben schon bemerkt, daß einige, ob wohl weniger, der damaligen Juden, eine zwiefache Zukunft des Messias geglaubt, da er erst in armseliger Gestalt und leidend erscheinen, nachmals aber bald herrlich und herrschend in den Wolken des Himmels wiederkommen würde. Dieses kam denen Aposteln vortrefflich zu statten, und sie sahen, daß sie noch nicht verloren Spiel hätten. Die Erwartung der Zukunft des Messias um diese Zeit war noch allgemein, und wenn sie sich gleich in der Person eines Theudas und Judas Galiläus (Apostg. V. 36. f.) betrogen hatten, so höreten sie doch nicht auf, denselben in andern und auf eine andere Art zu erwarten; wie auch die nachmalige Geschichte der Juden weiset. Die Apostel konnten auch vermuten, daß ein groß Teil derer, die Jesum als einen Propheten angesehen, der in Worten und Taten mächtig gewesen wäre, nunmehro dieses Lehrgebäude auch ergreifen, und sein Leiden als einen Teil seines Messias-Amtes, und als eine Folge seiner ersten Zukunft betrachten, daher aber seine andere herrliche vom Himmel desto eher glauben und erwarten würden. Sie durften auch nicht zweifeln, daß manche der vorigen Anhänger Jesu aus eben der Furcht für Dürftigkeit und Beschimpfung, welche die Apostel selbst trieb, mit in ihr Schiff treten, und gerne glauben würden, was sie wünschten, damit sie nur möchten geirrt und sich betrogen haben. In ihren verschlossenen Türen und bei dem gemeinschaftlichen Anliegen, da sie noch einmütig bei einander waren, hatten sie die beste Zeit zu überlegen und mit einander zu verabreden, wie sie diese Meinung zu ihrem Vorteil anwenden könnten; und dazu war vor allen Dingen nötig, den Körper Jesu bald wegzuschaffen, damit sie vorgeben konnten, er sei auferstanden und gen Himmel gefahren, um von dannen nächstens mit großer Kraft und Herrlichkeit wieder zu kommen. Es war ihnen ein leichtes, solche Entwendung des Körpers ins Werk zu richten. Er lag in Josephs Garten in einem daran schließenden Felsen begraben, der Herr und der Gärtner litten, daß die Apostel bei Tage und bei Nacht das Grab besuchten: sie verraten sich selbst mit ihrem Geständnis, daß jemand den Körper habe heimlich wegtragen können: sie haben die Beschuldigung, daß sie solches selbst in der Nacht wirklich getan, von hoher Obrigkeit leiden müssen und haben sich nirgend von solcher gemeinen Rede zu retten unterstanden. Kurz, alle Umstände geben, sie haben dieses Unternehmen in der Tat ausgeführt, und nachmals zum Grundstein ihres neuen Lehrbäudes gelegt. Es scheinet wohl aus dem Verfolg, daß sie damit nicht lange gesäumet, sondern den Leichnam bald nach vier und zwanzig Stunden, ehe er vollends in die Verwesung getreten, bei Seite geschaffet haben, und daß sie, wie dieses geschehen und kund worden, als voller Verwunderung, und unwissend von irgend einer Auferstehung, sich auch mit dahin begeben, und die leere Städte beschauet. Allein noch war es zu frühe dieses öffentlich zu sagen, und zu behaupten. Sie warten damit ganzer funfzig Tage, um hernach, wenn es nicht mehr Zeit wäre, nach dem Körper zu forschen oder von ihnen zu fordern, daß sie den auferstandenen Jesum öffentlich zeigen sollten, desto dreister zu sagen, daß sie ihn hie und da gesehen, daß er bei ihnen gewesen, mit ihnen gesprochen, und gegessen hätte, und endlich von ihnen geschieden und gen Himmel gefahren sei, um bald herrlicher wieder zu kommen.

§ 57
Was konnten sie sich aber bei solchem Unternehmen für einen Fortgang versprechen? Allerdings einen guten. Einmal konnten sie niemand augenscheinlich einer Falschheit oder Lügen überführen: das Corpus delicti war nicht vorhanden, und wenn ja einer kommen sollte der ihn an einem andern Orte anzeigte, so waren es nunmehro schon 50 Tage nach dem Tode, da alles in die Verwesung getreten sein mußte. Wer konnte ihn jetzt mehr kennen und sagen: dies ist Jesu Körper. Diese geraume Zeit stellete für eine handgreifliche Überführung des Betruges sicher, und vereitelte alle darauf zu wendende Nachforschung. Sie half ihnen aber auch dazu, daß sie ein Haufen erzählen konnten, wie oft und auf mancherlei Art er ihnen inzwischen erschienen sei, und was er mit ihnen geredet habe, damit sie als aus Jesu Reden und Befehl nach dem Tode, alles was sie selbst für gut funden, lehren und anordnen konnten. Ja wollte nun nach 50 Tagen jemand fragen, wo ist der auferstandene Jesus, zeiget mir ihn: so hatten sie die Antwort bereit, nunmehr ist er schon gen Himmel gefahren. Es kam nur auf ein dreistes standhaftes bejahen und bezeugen an, daß sie Jesum gesehen, gesprochen, getastet, mit ihm gegessen und gewandelt hätten, worin sie alle einstimmig waren; ein solch Zeugnis konnte man nach dem Gesetze nicht verwerfen, weil in zweier oder dreier Zeugen Munde die Wahrheit bestehen sollte, wie vielmehr, wenn es ihrer zwölfe einhellig bezeugten. Die Auferstehung an sich ward damals von dem allergrößten Haufen, nämlich den Pharisäern und ganzem Volke geglaubt: es waren vorhin durch die Propheten Leute vom Tode erweckt worden, und folglich mußten sie die Möglichkeit der Auferstehung Jesu nach ihrem eigenen Lehrsatze zugeben. Dieser wußten sich die Apostel, oder vielmehr Paulus, als der Klügste unter allen, vor Gericht zur Verteidigung und Rettung meisterlich zu bedienen. Denn um die Pharisäer und Sadduzäer, welche beiderseits in den Gerichten saßen, an einander zu hetzen, und dadurch zu entwischen, saget er alsdenn nicht besonders, daß er die Auferstehung Jesu behaupte, sondern er verdrehet die auf ihn gebrachte Beschuldigung, als ob sie einen allgemeinen Lehrsatz betreffe. Denn als Paulus zu Jerusalem vor Gerichte war, Apostg. XXIII. 6 und wußte, daß das eine Teil Sadduzäer waren, das andere Teil aber Pharisäer, schrie er im Rat: ihr Männer, lieben Brüder, ich bin ein Pharisäer und eines Pharisäers Sohn; ich werde für Recht gestellet von wegen der Hoffnung und Auferstehung der Toten. Darauf ward ein Aufruhr zwischen den Pharisäern und Sadduzäern, und die Menge spaltete sich - und die Schriftgelehrten von der Pharisäer Teil stunden auf, stritten und sprachen: wir finden nichts Arges an diesem Menschen. Hat aber ein Geist oder ein Engel mit ihm geredt, so lasset uns nicht wider Gott streiten. Und so spricht Paulus auch hernach zu Cäsarea vor dem Landpfleger. Apostg. XXIV. 20. f. laß diese Juden selbst sagen, ob sie etwas Unrechts an mir funden haben, als ich für dem Rate stund: es sei dann bloß, daß ich geschrien habe: von wegen der Auferstehung der Toten werde ich heute von euch für Recht gestellet. Und so macht ers vor dem König Agrippa; und verweiset es den Juden in dessen Gegenwart: Apostg. XXVI. 8 wie? spricht er, wird das für unglaublich bei euch gehalten, daß Gott die Toten auferweckt? Er will sagen: es ist ja euer eigen Glaubens-Bekenntnis, daß eine Auferstehung der Toten sei: es stehen ja in der Schrift Exempel, daß es vielmal wirklich geschehen. Paulus wußte also die Juden recht bei ihren eigenen Lehrsätzen zu fassen, und wenn er besonders auf Jesus Auferstehung kommt, so beruft er sich auf seine Batkol, auf die Stimme vom Himmel, die ihm zugerufen: für eine solche Batkol hatten sie damals alle Ehrerbietung, und mußten sie gelten lassen: hat ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet, so lasset uns nicht wider Gott streiten. Und so wissen die Apostel mehrmal von himmlischen Stimmen, von dem heil. Geist, Erscheinungen der Engel, Gesichter, Entzückungen bis in den dritten Himmel und dergleichen zu reden, wenn sie ihr Vorgeben beweisen sollen. Bei Leuten die noch etwa eine Hochachtung für Jesu Person behalten, und von seinen vielen Wundern gehöret hatten, ja daß er selbst andere sollte auferwecket haben, konnte es so viel glaublicher sein, daß Jesus nun selbst von den Toten auferstanden wäre. Dazu hatten die Apostel von ihrem Meister gelernet Wunder zu tun, oder wenigstens wie man es machen müßte um den Schein zu haben, und solches unter die Leute zu bringen, und ich habe anderwärts gezeiget, daß er gar keine Kunst sei, Wunder zu erzählen oder auch zu machen, wenn sich viele mit Mund und Hand hierin einander behülflich sind, und wenn sie mit einem Volke zu tun haben, das gewohnt und geneigt ist, Wunder zu glauben. Diese Willfährigkeit zu glauben wußten auch die Apostel nach Jesu Exempel vortrefflich zu bestärken, indem sie den Leuten den Glauben als ein verdienstlich seligmachend Werk anpriesen, und den Unglauben als verdammlich abmalten. Kam es auf Beweise an, so hatten sie alle Handgriffe der allegorischen Auslegungskunst, und also Mosen und alle Propheten zu ihren Diensten, daraus es ihnen nicht schwer ward, Jesum als den verheißenen Messias, seine Geburt, seine Flucht nach Ägypten, seinen Aufenthalt zu Nazareth, seine Taten und Wunder, seine Kreuzigung, Begräbnis, Auferstehung, Himmelfahrt, andere Zukunft, mit einem Worte alles was sie wollten, aus allen Stellen erweislich zu machen. Man achtete damals diese Pharisäische Vernunftkunst für den größten Witz, für die gründlichste Gelehrsamkeit, und für unwidertreiblich. Und wo ja endlich etwas an Überzeugung mangelte, da konnten sie die Gemüter durch die Hoffnung reicher Belohnungen bei der baldigen Wiederkunft Jesu zu seinem herrlichen Reiche geneigt machen zu glauben. Denn dieses Reich des Messias sollte nach der Meinung der damaligen Juden, und der ersten Christen, kein unsichtbares Reich im Himmel von bloß geistlichen Gütern sein, denn das hätte vielleicht weniger Eindruck gehabt, sondern ein sichtbares tausendjähriges Reich auf Erden sein, darin man äße und trinke und lebte, wie vorhin, nur alles aufs herrlichste und in dem größten Überfluß und Lust, mit Unterdrückung und Beherrschung aller Feinde. Das rühret die Sinne, und durch solche süße Vorstellung lässet sich die Begierde der Menschen, und dadurch auch der Verstand blenden, daß sie in der lebhaftesten Hoffnung des künftigen Überflusses der Güter und Glückseligkeit, alle Untersuchung der Wahrheit, ja selbst die gegenwärtigen Vorteile versäumen und verachten. Hiedurch funden sie also auch Gelegenheit manche zu bereden, daß sie auf die künftige überschwengliche Belohnung alle ihre Hab und Güter zum gemeinen Gebrauche hergaben: das war eine Heilands-Kasse, darin sich ein jeder mit seinem wenigen Vermögen Aktien des bald zu erwartenden Himmelreichs zu kaufen, bemühet war, und die Verteilung dieser Güter zu Allmosen, setzte die Apostel in den Stand, nicht nur selbst ihre Dürftigkeit in Überfluß zu verwandeln, sondern auch tausende von Armen zu dem gegenwärtigen Genuß dieser notdürftigen, und so dann künftig der reichsten überschwenglichsten Güter herbei zu locken.

§ 58
Da der Erfolg weiset, daß die Apostel diese Mittel zu ihrem Vorhaben wirklich angewandt, und daß dieselbe gut angeschlagen sind, und da gezeiget ist, woher sie sich bei damaligen Zeiten die Rechnung machen können, damit durchzukommen, so kann auch fast kein Zweifel sein, daß sie solche Mittel zu ihren Absichten vorausgesehen, beliebt, und in den Tagen, da sie so einmütig bei einander waren, mit einander veranredet haben. Allein mußten sie sich nicht auch die Hindernisse vorstellen, welche ihnen die Sache schwer machen würden? Das ist allerdings wohl zu vermuten. Jedoch wer die Umstände des Jüdischen Volkes kennet, wird wohl einsehen, daß dieselben ihnen so unüberwindlich nicht haben scheinen können, daß sie nicht mit standhaftem Mute damit durchdringen sollten. Sie verkündigen vors erste bloß die Auferstehung Jesu von den Toten, eine Sache, die den Römern bloß belachenswürdig schiene, und in ihre Herrschaft über die Juden keinen Einfluß hatte: die aber den Pharisäischen Juden nicht irrglaublich oder glanz unglaublich dünken konnte, wenigstens nicht zu widerlegen war, weil das Gegenteil, nachdem der tote Leichnam nun schon über 40 Tage bei Seite geschaffet war, unmöglich auf eine handgreifliche Art konnte dargetan werden; und hergegen das Factum auf eine mehr als gesetzmäßige Art, das ist, durch mehr als zwei oder drei Zeugen bestätiget ward. Denn für ein ordentliches genaues Zeugen-Verhör durften sie nicht bange sein, da man eine eidliche Aussage jedes Zeugen besonders auf vorgelegte Fragen zu Papiere nimmt, und hernach alle zuammenhält, ob sie sich auch einander, oder auch einer sich selbst, und denen Umständen der Sache widerspreche. Nein, alles ward damals selbst in Römischen Gerichten, geschweige denn bei den Juden, sehr tumultuarisch und obenhin vorgenommen; und man verstand die Kunst noch nicht, dem Betruge und Irrtum in Dingen die geschehen sein sollen, durch eine vernunftmäßige Prüfung zu begegnen. Die Geschchte des Neuen Testaments und der Apostel weiset solches genugsam, so oft jemand vor Gerichte gestanden. Wenn sie sich denn auch ja von der andern herrlichen Zukunft Jesu aus den Wolken des Himmels zu seinem Reiche etwas verlauten lassen, so mußte doch solches gleichfalls von Römern und Juden als ein eitler Traum und nichtiges Vorgeben, das die Zeit selbst widerlegen würde, verachtet werden. Und was konnte ihnen allenfalls die Jüdische Obrigkeit anhaben? Das Halsgerichte hatte sie nicht mehr, sie durfte niemand töten, das gehörte für den römischen Landpfleger. Die Geißelung konnte ihnen zuerkannt werden, oder man konnte sie aus der Synagoge weisen und in den Bann tun. Das war es alles. Darauf aber hatten sie es hingesetzt, und nun ihr Meister in seiner Kreuzigung den schmähligsten Tod erdulden müssen, so machten sie sich aus dieser geringeren Schande, eine Ehre; und bliesen diesen Martyr-Geist auch denen ein, welche sich zum Christentum bekannten. Jedoch, wie gesagt, die Jüdische Obrigkeit konnte ihnen nichts sonderliches anhaben. Ihr Ansehen war ganz herunter, und die öffentliche Zucht in der größten Verwirrung. Man kann solches aus ein paar Begebenheiten abnehmen, die uns in der Apostel ihren Geschichten aufgezeichnet sind. Denn als Paulus vor dem hohen Rat gestellet ward (Apostg. XXIII. 2f.) und anfing sich zu verantworten, hieß ihn der Hohepriester Ananias aufs Maul schlagen, vermutlich weil er ohne Erlaubnis geredet, das einem Beklagten nicht geziemet, und weil er auf vorhergehendes Verbot dennoch nicht schweigen wollen. Paulus aber erdreistet sich den Hohenpriester zu schelten und zu fluchten. Gott, sprach er, wird dich schlagen, du übertünchte Wand; sitzest du und richtest mich nach dem Gesetz, und heißest mich schlagen wider das Gesetz? Was konnte verwegner sein gegen die vornehmsten Richter im hohen Rat? Nun ward er zwar darüber zur Rede gestellet; allein weiter widerfuhr ihm nichts. Seine Entschuldigung würde ihn wohl nicht gerettet haben, nämlich daß er nicht gewußt, daß es der Hohepriester sei. Denn es stehet geschrieben, einem Obristen deines Volks sollst du nicht fluchen. Die Antwort war sehr kahl, der Hohepriester konnte ihm ja so unbekannt nicht sein; und wenn er ihn ja nicht gekannt hätte, so mußte er ihn doch für einen Ratsherrn ansehen, der im hohen Rate besonders was zu sagen hätte, und der folglich seine Obrigkeit und hier sein Richter wäre: war es ihm denn erlaubt, außer den Hohenpriester sonst einen jedweden in diesem Gerichte zu fluchen? Er sagt ja selbst, es stehe geschrieben: dem Obristen deines Volks sollst du nicht fluchen: war denn nicht ein jeder Richter und Mitglied des Rats ein Obrister im Jüdischen Volk? schlägt sich denn Paulus nicht mit seinen eigenen Worten? Allein, wie gesagt, seine Entschuldigung machte ihn nicht frei, sondern die Schwäche des Jüdischen Synedrii, und das geringe Ansehen aller Obrigkeitlichen Personen, die bei der Römischen Herrschaft ein paar Scheltworte so genau nicht nehmen durften. Dieses Schwache wußte Paulus so gut, als ihre innerliche Uneinigkeit und Zänkereien, da der Rat aus Pharisäern und Sadduzäern bestand, daß also die Richter oft verschiedener Meinung waren, und in Parteien rissen, die gegen sich selber angingen, und die Beklagten fahren ließen. Weil also Paulus wußte daß die Sadduzäer die Auferstehung leugneten, die Pharisäer aber behaupteten, so spielt er nur das divide, er schlägt sich zu der Pharisäischen Partei: er spricht, ich bin ein Pharisäer und eines Pharisäers Sohn, ich werde angeklagt um der Hoffnung der Auferstehung willen: gleich entstehet unter den Richtern selbst Lärmen und Streit: die Pharisäer nehmen sich seiner an, sie erklären ihn und seine Sache für unschuldig, und dadurch ward der Ausspruch wider Paulum vereitelt. Paulus spottet also nur der ohnmächtigen Jüdischen Gerichte, und ist gewiß daß die ihm nichts sonderliches anhaben konnten. Wenn aber dergleichen Religionshändel für die Römischen Gerichte gezogen wurden, so fiel allemal der Ausspruch für die Beklagten: die Römer sahen es entweder für unnütze Zänkereien an, da sie über ihre innere Sekten und Ketzer nicht richten konnten und wollten: oder wie man aus vielen Anzeigen schließen muß, sie nährten auch den inneren Zwiespalt unter den Juden, und suchten die Macht und das Ansehen der Jüdischen Obrigkeit immer weiter herunter zu setzen; damit sie desto bessere Gelegenheit hätten, das Volk einst vollends unter ihr Joch zu bringen, wie auch bald hernach geschehen ist.

§ 59
So war auch damals die bürgerliche Zucht unter den Juden sehr schlecht, und ein jeder konnte fast ungestraft tun was er wollte. Ich will eben jetzo nicht darauf dringen, daß es den Aposteln frei ausging, daß sie eine Gemeinschaft der Güter einführeten, obwohl dieses allerdings den Wohl eines Staats höchst nachteilig ist. Denn die bemittelten Bürger werden dem Staat dadurch entzogen, daß sie alle ihr Hab und Gut, Äcker und Häuser verkaufen, und alles daraus gelöste Geld in die gemeinschaftliche Kasse ihrer Sekte legen. Sie werden also arm, und können künftig auf keine Weise die allgemeine Lasten tragen helfen, noch den Wachstum des Staats durch Gewerbe oder Handlung ferner befördern helfen. Hergegen werden Privatpersonen Meister und Besitzer von so vieler wohlhabenden Bürger Gelde, daran das gemeine Wesen und die Schatzkammer einen gerechten Anteil und Anspruch hatte: und diese Leute sind dadurch im Stande Tausend andere Bürger an sich zu ziehen, die nun auf milde Hand sehen, und ihrer Wohltäter und Führer Wink und Willen folgen müssen, und die mithin der Botmäßigkeit und dem Gehorsam der Obrigkeit geraubt, und wohl gar entgegen gestellet werden. Allein, wie gesagt, ich will diese Störung solcher Beeinträchtigung des öffentliches Vorteils von der vorworrenen Jüdischen Polizei nicht fordern. So hatten denn doch die Apostel freie Hände sich dieser öffentlichen Fahrlässigkeit und Verwirrung zu bedienen, und mitten im Staat einen andern Staat aufzurichten, darin die Religion und Meinung, die Hab und Güter, und deren Verteilung, und sodann auch das Tun und Lassen ihrer Anhänger, nicht mehr von der Obrigkeit, sondern von ihrem der Apostel Wink und Willen abhing, und gegen Obrigkeitlich Gebot oder Verbot gebrauchet ward, unter dem Vorwand, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen. Allein dieses ist doch dabei am meisten zu verwundern, daß gleich anfangs bei dieser Stiftung zween Menschen in der Apostel ihrem Gemach schleunig nach einander ums Leben kamen, und tot von ihnen herausgetragen wurden, und daß keine Obrigkeitliche Nachfrage und Untersuchung geschiehet, wie und auf was Weise die beiden Leute ums Leben kommen, da doch die Begebenheit notwendig ziemlichen Verdacht erwecken mußte. Apostg. V. 1. u. f. Ananias und sein Weib Sapphira werden mit einander eins, daß sie auch eine Aktie in dieser Heilands-Kasse nehmen wollen. Sie entschließen sich also mit Vorwissen der Apostel, ihren Acker, nach dem Exempel anderer, zu verkaufen. Das war schon an sich eine Sache die wider Mosis Gesetz und Stiftung lief, und dadurch die Apostel die ganze Verfassung der Jüdischen Polizei über einen Haufen wurfen, indem nach Mosis Ordnung ein jeder bei seinem väterlichen Erbgut bleiben sollte. Allein die Leute mußten ja wohl an andern gesehen haben, daß ihnen, wenn sie sich einmal ihres Vermögens entäußert, die Notdurft etwas sparsam gereichet werden würde: daher bereden sie sich, daß sie nicht den ganzen Wert ihres väterlichen Erbteils dran wenden, sondern etwas für sich zurück behalten wollen, um hernach nicht andern alles aus den Händen zu sehen. Nun brauchte es ja wohl keines heiligen Geistes, der Petro das sagte, wie viel Geld sie aus dem Acker gelöset hätten, er hatte den Preis gehöret, er frägt oder zählet nach, wie viel Ananias hier bringe; und da er merket, daß etwas mangele, ist er nicht zufrieden, er will alles haben, er stellet ihn zur Rede, gibt sich ein Ansehen, als ob ihm etwa vorlügen einerlei sei, als Gott oder dem heiligen Geist etwas vorlügen: kurz, der Mann fällt (Gott weiß auf was Art) tot zur Erde nieder. Es werden Leute hereingerufen, die ihn aufheben, gleich wegtragen und begraben müssen, und in drei Stunden ist die ganze Handlung vorbei. Die Frau Sapphira kommt mittlerweile auch vor die Apostel, sie wird auch gefragt ob nicht mehr aus dem Acker gelöset sei? als sie leugnet ein mehres bekommen zu haben, geht es ihr eben so: man trägt sie auch alsofort tot hinaus und begräbt sie bei ihrem Manne. Ich will keine Frage anstellen, wo das Geld geblieben, welches zu der Apostel Füßen gelegt war, ob es gleich nicht alles ihr Vermögen gewesen: denn es scheinet wohl, daß die Apostel dieses, ungeachtet daß die Leute selbst nichts dafür genießen konnten, denen Erben nicht wieder gegeben, sondern dennoch alles als eine gute Prise erkläret, und behalten haben; aber ist es möglich in einer Stadt oder Staat, da noch einige Ordnung gilt, daß zwo bekannte Leute, Mann und Frau, gähling an einem Tage in einem Zimmer umkommen, innerhalb ein paar Stunden bei Seite geschafft und begraben werden, ohne daß einige Nachfrage geschiehet, auf was Weise sie ums Leben gekommen sind? Konnte dieses ohne Ahndung, ohne Inhaftierung der Gegenwärtigen, ohne peinliche Untersuchung geschehen? Was haben die Apostel in einem so zerrütteten Zustande nicht unternehmen und wagen können?

§ 60
Hieraus erhellet zur Gnüge, daß die Apostel bei ihrem Unternehmen sich nicht sonderliche Schwierigkeit vorzustellen und zu befahren Ursache hatten. Laßt uns also sehen, wie sie wirklich zum Werke schreiten. Nachdem alles einmütig zwischen den Vornehmsten verabredet war, so wurden die übrigen vornehmsten Anhänger Jesu, ohngefähr 120 an der Zahl, (Apostelg. II. 1 u. f.) deren ein Teil vielleicht ehrlicher Weise glaubten daß Jesus erstanden und von den andern wirklich gesehen sei, versammlet; es ward statt des Judas ein neuer Apostel geweihet, endlich geschahe den funfzigsten Tag nach Ostern oder den Pfingsttag, (Apostelg. II. 1 u. f.) der erste öffentliche Ausbruch ihres Vorhabens mit einem Wunder, darin viererlei merkwürdig ist, 1) ein Brausen und Getöse als eines starken Windes, das von oben in das Haus zu fahren und das ganze Haus zu erfüllen schien, 2) sahe man an den Aposteln die Zungen zerteilet als die Zungen des Feuers scheinen 3) und er (ich glaube der Wind) satzte sich auf einen jeglichen unter ihnen 4) redeten die Apostel ein jeder mit fremden Sprachen, so daß die Auswärtigen, Parther, Meder, Elamiter, Mesopotamier, Juden, Kappadozier, Ponter, Asier, Phrygier, Pamphylier, Ägyptier, Libyer, Cyrener, Römer, fremde Juden, Kreter und Araber, ein jeglicher die Apostel in ihrer Sprache reden und Gott preisen höreten. Darauf werden alle Zuhörer bestürzt, was doch daraus werden wolle: andere spotten, sie müßten sich berauscht haben, bis Petrus aufstehet und einen Beweis führet aus dem Joel, daß dieses Wunder in den letzten Tagen habe geschehen sollen, und aus des Davids Psalmen, daß Jesus habe sollen auferstehen, weil David spricht, du wirst nicht zugeben, daß dein Heiliger verwese. Darauf hatten sie willig den Glauben angenommen, sich taufen lassen, und denselben Tag waren bei dreitausend bekehret worden. Warum aber sollte wohl Gott, in der Absicht Jesus Auferstehung erweislich und glaublich zu machen, erstlich Jesum nach seiner Auferstehung keinem Menschen außer den Aposteln zeigen, hernach aber wenn er nicht mehr vorhanden wäre, die Auferstehung durch ein Wunder der Apostel beweisen? Wäre nicht seine Auferstehung ohne Wunder ganz natürlich mit allgemeinem Beifall geglaubt worden, wenn Gott ihn nach seiner Kreuzigung und Begräbnis wieder lebendig im Tempel vor dem Synedrio und allem Volke hätte sehen und tasten lassen? Dieses natürliche leichte und kräftige Mittel zum Zweck aber nicht wählen, und hernach ein unnatürliches, unbegreifliches, wenig fruchtendes gebrauchen, ist Gottes Weisheit nicht gemäß. Wunder, die so angebracht werden, sind überaus verdächtig. Menschen die das mit Wundern erhärten wollen, was sie hätten augenscheinlich und handgreiflich dartun können und sollen, wenn sie eine reine Sache hätten; die suchen ganz unfehlbar die Leichtgläubigkeit unverständiger Leute zu berücken, welche sich am besten durch das unbegreifliche fangen lassen. Wenn sie damals geschwiegen als es hieß, daß Jesus noch lebendig auf der Erden war, so laß sie nun nachhero mit noch so viel Wundern spucken, und dabei sagen, Christus ist hie oder da gewesen, er ist bei uns in der Kammer gewesen, er ist am Galiläischen Meer gewesen. Die Vernunft sagt, ihr sollt es nicht glauben. Allein laßt uns das vorgegebene Wunder selbst ein wenig genauer betrachten. Ich weiß nicht, ob Lucas der dieses erzählt, dabei gewesen, als alles dieses geschehen sein soll; wenigstens wird ein vernünftiger Leser wünschen, daß ihm alles verständlicher gemacht wäre, wie es zugegangen und möglich gewesen. Bei dem Getöse so das Haus erfüllet, will ich mich zwar nicht aufhalten, wie leicht ist nicht ein Getöse gemacht? aber wer kann begreifen, was Lucas damit sagen wolle, die Zungen wären an den Aposteln zerteilet gesehen worden, wie des Feuers Zungen sind. Es ist ja wohl das Wort Zunge, nicht wie sonst von der Sprache zu verstehen, weil man die Sprache nicht sehen kann, und weil alsdenn die Beschreibung dieser zerteilten Zungen, wie des Feuers spitzige Flammen in Gestalt einer Zunge schießen, alsdenn keinen Statt fünde. Sind es denn der Apostel eigene Zungen gewesen, die sie zum Halse herausgeschossen, und die durch das geschwinde Herausschießen zerteilet gelassen, wie der Schlangen Zunge, und die etwas in diesem Hervorschießen feurig ausgesehen? oder sind es fremde Zungen gewesen, die oder deren Bild und Gestalt man an ihnen gesehen? und wo hat man sie gesehen? über ihren Kopf, wie es gemeiniglich gemalt wird, oder als Flammen aus ihrem Munde schießen, welches glaublicher die Meinung ist? und wer ist der, so sich auf einen jeglichen gesetzt? der Wind? denn sonst ist vorher nichts genannt. Es scheint die ganze Beschreibung nicht sowohl einer Geschichte als einem prophetischen Gesichte zu gleichen, welches die Einblasung der fremden Sprachen von dem H. Geist vorstellen soll. Der brausende Wind stellet den Heil. Geist vor, der bläset in die Apostel, und bläset in ihnen ein Feuer auf, das mit verschiedenen fremden Zungen aus ihnen hervorschießet, die Gabe der verschiedenen fremden Sprachen anzudeuten. Das ist ein gut Gemälde und Gesichte in der Einbildungskraft eines prophetischen Schreibers, aber mit einer wirklichen Geschichte, die man mit Augen sehen kann, will es sich auf keine Weise reimen. Und warum sollen etliche der Gegenwärtigen noch ihren Spott damit getrieben, und die Apostel für besoffen gehalten haben, wenn sie solche Wunderdinge an den Aposteln vor Augen gesehen hätten? Das widerspricht sich. Der Menschen Spötterei mag so weit gehen wie sie will, so würde doch eine solche augenscheinliche übernatürliche Begebenheit eine allgemeine Bestürzung und Entsetzen und keine Spötterei veranlasset haben. Denn die Spötterei höret bald auf, wenn man etwas klar vor Augen siehet, und nicht vor Gaukelei und Blendwerk halten kann. Dieses erste Wunder scheinet also bloß von Lucas mit einer ganz undeutlichen Einbildungskraft, und weniger Übereilung dazu gedichtet zu sein. Allein eben diese Spötterei so vieler Hörer und Zuschauer beweiset uns auch genugsam, daß das, so wirklich geschehen sein mag, einer bloßen Gaukelei und Blendwerk ähnlich gesehen. Denn warum treiben sie einen Spott damit, und sagen daß sie voll süßes Weins sein müßten. Wenn wir setzen, daß die Apostel einer nach dem andern ordentlich, deutlich und vernehmlich geredet was sie geredet, und daß sie sich dabei als vernünftige, sittsame und nüchterne Menschen gebärdet, so hat diese Spötterei gar keine Statt. Wir müssen demnach notwendig daraus schließen, daß sie sich dem äußerlichen Ansehen noch als Besoffene betragen: das ist, daß sie ein durchs andere geschrien, wie es eine betrunkene Gesellschaft zu machen pflegt, und daß sie dabei ganz ausschweifende Gebärden gemacht, wie gleichfalls Betrunkene zu tun pflegen. Man siehet also leicht daraus, daß die Apostel eine prophetische Begeisterung angenommen haben, wobei sich die Menschen so verstelleten, als ob sie toll und rasend waren, so daß Hithnabbe, weissagen und toll sein mit einem Worte angedeutet wird; ferner aber daß sie in ihrer angenommenen Begeisterung alle auf einmal und durch einander gewisse fremde Sylben und Wörter mit vollem Halse geschrien: in welcher Verwirrung der Töne, ein jeder Leichtgläubiger eine Sprache die er wollte und wußte, hören konnte. Dies stimmet mit der Spötterei vollkommen überein: und eben das erhellet ziemlich offenbar aus dem Briefe Pauli an die Korinther (1. Kor. XIV) da er die Gabe der Sprachen in ihrer Gemeine zwar nicht ganz und gar zu verwerfen das Herze hat, damit er nicht die Apostel selbst, und die übrigen Wundergaben der Korinther einer Gaukelei beschuldige; aber er gibt doch genung zu verstehen, daß es besser sei, sich dessen zu enthalten, weil es etwas unverständliches sei, und ohne beigefügte Erklärung was es heißen solle, der Gemeine nichts nütze. Etliche Leute nämlich haben sich in der Gemeine ein Ansehen mit solcher Wundergabe geben wollen, und sich als begeisterte mit allerlei wunderlichen nichts heißenden Wörtern hören lassen, daraus Unverständige denken sollten, sie redeten mit fremden Sprachen: oder es ist auch möglich, daß ihre Einbildungskraft sich so erhitzet, daß sie in einer Art von Ekstasi allerlei seltsames gesprochen, wie man viele dergleichen Exempel hat. Wenigstens war es nicht von Gott oder Eingeben des Geistes Gottes, der seine Sprachwissenschaft gewiß da nicht verschwenden würde, wo sie nichts nutzte, und wo sie Paulus auch zu tadeln Ursache hatte. Allein wir wollen setzen, welches ich doch wegen der angenommenen Begeisterung und der darüber entstandenen Spötterei nicht glaube, die Apostel haben einer nach dem andern vernehmliche Sätze in fremden Sprachen hervor gebracht: war es denn nicht möglich, daß einer und der andere von ihnen irgend einen Spruch in einer fremden Sprache aus dem Umgange mit so vielerlei Völkern, vorlängst gewußt hätte, oder jetzt in dieser Absicht erlernet hätte? Was leuchtet daraus für ein groß Wunder hervor? und wie schlecht wäre der Schluß: Einige Leute reden einige Sätze in einer fremden Sprache: also ist Jesus von Nazareth von den Toten wieder lebendig worden? Ja wird man sagen: aber so viele ganz entfernete Sprachen! die Parther, Meder, Elamiter, Kreter, Araber, Kappadozier, Ponter, Asier und so ferner hören und verstehen, daß sie die Wunder Gottes preisen, und dadurch sich auf einmal 3000 Seelen zum christlichen Glauben bekehren lassen: das kann doch gewiß kein Blendwerk gewesen sein, das muß außer wenig Spöttern, die es vielleicht nicht verstanden, eine allgemeine Überführung und starken Eindruck gewirket haben. Allein, Luca hat hier vergessen, daß er die Apostel in einem Hause, in einem Zimmer sitzend vorgestellet hatte. Denn so spricht er gleich anfangs: es geschahe schnell ein Brausen, als eines gewaltigen daherfahrenden Windes, welcher erfüllete das ganze Haus darin sie saßen. v. 2. Nun pflegten die Apostel im obersten Zimmer des Haus en toh hyperohoh, gerade unter dem flachen Dache, ihre Versammlungen zu halten. Mein! wie haben da 3000 und mehrere Menschen Raum gehabt? Denn diese 3000 machen noch nicht alle Zuhörer aus: diejenigen von der Menge ließen sich nur taufen, welche seine Rede gern annehmen v. 41: so sind denn auch etliche gewesen die Petri Rede nicht annehmen wollen. Außer diesen belief sich die Gesellschaft der vorhin Gläubigen, die da versammlet war, auf 120. Apostg. I. 15 und also können wir an die 4000 rechnen. So viele Personen erfordern eine große Kirche: wie pfropft sie denn Lucas in seinen Gedanken in dies eine Gemach der Apostel hinein? Ich wollte ihm gerne damit helfen, daß etwa die Menge des Volks mehrenteils auf der Gasse oder im Vorhofe des Hauses gestanden. Allein so fällt aller Grund ihrer Überzeugung und Bekehrung weg. Wie konnten Leute, die auf der Gassen oder im Vorhofe nach dem Zimmer hinauf kuckten, sehen, hören, wissen, was vor Wunderdinge darin vorgingen, was für Sprachen darin geredet wurden, was der Inhalt dieser Reden sei? Und dennoch führet sie Lucas sagend ein: Sind nicht diese alle die da reden aus Galiläa? wie hören wir sie dann ein jeglicher in seiner Sprache, in welcher wir geboren sind v. 7. 8. Nein, es ist dem Lucas nicht zu helfen; er hat vergessen was er geschrieben, und da er nur der Leute fein viel machen will, die bekehret sind, so denkt er nicht daran, daß er die Apostel in einem Zimmer niedergesetzt, und ist daher unbekümmert, wo diese drei bis vier tausend Menschen Platz bekommen sollen. Wie will er es auch gut machen, daß gleich auf ein Windbrausen drei bis vier tausend Menschen zusammen laufen? Denn hat sich der Wind durch die ganze Stadt mit Brausen hören lassen, so war keine Ursache, daß sie daraus was wunderbares machten, oder daß sie nach einem Hause der Stadt besonders hinliefen. Hat der Wind aber nur auf dies Haus allein gebrauset, wie bekommen es denn gleich so viel tausend Leute an den entferntesten Enden der Stadt, Parther, Meder, Elamiter, Kreter, Araber, Phrygier, Kappodozier etc. zu wissen? Das ist nicht zu begreifen. Zudem so sollen es Juden und Judengenossen, gottesfürchtige Männer gewesen sein: wie kömmts, daß die am ersten Pfingsttage nicht zum Tempel und zu ihrer Synagoge eilen, wie ihre Gottesfurcht erforderte, sondern aus Neubegierde von dem äußersten Ende der Stadt zu einem Hause laufen, darin oder darüber sich ein Brausen hätte hören lassen? Das reimt sich nicht zusammen. Es ist ja in dieser Geschichte alles so, als wenn sie der Wind den Augenblick zusammen wehet: da die Stimme geschahe, kam die Menge zusammen v. 6. Es ist auch besonders, daß diese in Jerusalem Zusammenlaufende nicht einheimische Juden sind, sondern lauter Auswärtige aus allen Völkern unter dem Himmel, deren hier 15 namhaft gemacht werden: recht als wenn diese ausdrücklich vorher bestellt und berufen wären, von der neuen Polyglotta Ohrenzeugen zu werden, die übrigen aber nicht dazu eingeladen wären. Da es aber hier auf eine ohngefährliche Nachricht ankam, welche etwa zu der Leute Ohren kommen, und da gegen 1000 einheimische Juden aus Palästina, die auf das Pfingstfest kamen, kaum ein Fremdling gerechnet werden konnte, so hätten in der Anzahl von drei bis vier tausend ohngefähr zusammengelaufener Menschen kaum 3 oder 4 Fremdlinge sein können: wie kömmt es nun, daß hier 14 Fremdlinge gegen einen Einheimischen erscheinen, so daß Lucas in deren Aufzählung seine ganze Geographie erschöpfen muß? Das fällt schwer zu glauben. Einem Schreiber, der Wunder berichten will, gebührte ja vor allen Dingen, in einer an sich unglaublichen Sache, die Möglichkeit zu erklären und begreiflich zu machen. Hier aber sieht man nicht allein keinesweges, wie ein jedes möglich gewesen, sondern man siehet bei allen Umständen die Unmöglichkeit der Erzählung klar und deutlich. So geht es denen Schreibern, die da Wunder machen. Es es ihnen zwar nichts leichter, als dieses: es kostet nicht mehr Mühe 3000 als 300 zu schreiben, ihre Feder regieret und ordnet die ganze Natur, sie lassen den Wind brausen, wenn und wo sie wollen, die Sprachen sich verwirren, die Leute aus allen Völkern unter dem Himmel, in einem Augenblick zusammen kommen. Aber es kuckt hier und da die Verwirrung der Einbildungskraft heraus, die sich selbst vielfältig in Widersprüche verwickelt. Das kann nur eine heilige Einfalt blindlings glauben: der gesunden Vernunft wird es ein Spott und Gelächter. Und wenn gleich Lucas 30 Jahre nachher geglaubt haben mag, daß er nun, da faßt ein ganzes menschliches Lebensalter verstrichen, getrost Wunder in die Welt hinein schreiben könnte, so erblicken doch Verständige noch itzt die Erdichtung an allen Ecken und Orten, und wissen sie von der Wahrheit gar leichtlich zu unterscheiden. Es kann mir und meinen Lesern genug sein, daß ich dieses an diesem ersten Wunder der Apostel gezeiget, ich werde mich künftig bei allen den übrigen, als nicht zu achtenden Dingen, nicht aufhalten. Man sieht schon ein, wie viel Wahres daran gewesen. Es ist ohne Zweifel von den 3000 Menschen, die sich sogleich zur Taufe und zum Glauben an Jesum bequemt haben sollen, vieles abzudingen: und der Bewegungsgrund bei denen die nachbleiben, ist nicht das Wunder gewesen (als welches erst in Lucas seiner Einbildungskraft nach 30 Jahren erzeugt worden) sondern der liebe Genuß der gemeingemachten Güter, davon allen mildiglich ausgeteilet ward, daß sie zusammen aßen und trunken, und niemanden nichts mangelte. Denn so stehet gleich darauf v. 42. 44. Sie beharreten aber in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft (der Güter), und im Brodbrechen und im Gebet. Denn alle die da gläubig waren, waren bei einander und hielten alle Dinge gemein, und ihre Güter und Habe verkauften sie und teilten sie aus unter allen, nach dem ein jeder von nöten hatte. - Sie brachen auch das Brod täglich hin und her in den Häusern. Cap. IV. 32. Die Menge aber derer, die gläubig worden waren, war ein Herz und eine Seele. Und keiner sagte von Etwas seiner Güter, daß es sein wäre, sondern es war ihnen alles gemein. Es war keiner unter ihnen, der Mangel hatte, denn wie viel ihrer waren, die da Äcker und Häuser hatten, die verkauften sie und brachten das Geld des verkauften Gutes, und legten es zu der Apostel Füßen. Aber es ward ausgeteilt einem jeglichen nach dem er vonnöten hatte. Sehet hier: dies ist der wahre Grund des Zulaufs, der so natürlich wirkt und zu allen Zeiten gewirkt hat, daß wir keines Wunders brauchen, alles zu begreifen und verständlich zu erklären: dies ist der rechte brausende Wind, der so viele Leute so geschwind zusammen wehet: dies ist die rechte Grundsprache, welche Wunder tut.

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