Religionskritik
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Nietzsche (Inhalt)
Teil 1
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Teil 3
Teil 4
Teil 5
Friedrich Nietzsche
Der Antichrist
Fluch auf das Christentum
45
- Ich gebe ein paar Proben von Dem, was sich diese
kleinen Leute in den Kopf gesetzt, was sie ihrem Meister
in den Mund gelegt haben: lauter Bekenntnisse
"schöner Seelen". -
"Und welche euch nicht aufnehmen noch hören, da gehet von dannen
hinaus und schüttelt den Staub ab von euren Füßen, zu einem
Zeugnis über sie. Ich sage
euch: Wahrlich, es wird Sodom und Gomorrha am jüngsten
Gericht erträglicher ergehn, denn solcher Stadt" (Markus 6, 11).
- Wie evangelisch! ...
"Und wer der Kleinen Einen ärgert, die an mich
glauben, dem wäre es besser, daß ihm ein Mühlstein
an seinen Hals gehängt würde und er ins Meer geworfen
würde" (Markus 9, 42). - Wie evangelisch! ...
"Ärgert dich dein Auge, so wirf es von dir. Es ist
dir besser, daß du einäugig in das Reich Gottes gehest,
denn daß du zwei Augen habest und werdest in das höllische
Feuer geworfen; da ihr Wurm nicht stirbt und
ihr Feuer nicht erlischt" (Markus 9, 47). - Es ist nicht
gerade das Auge gemeint ...
"Wahrlich, ich sage euch, es stehen etliche hier, die
werden den Tod nicht schmecken, bis daß sie sehen das
Reich Gottes mit Kraft kommen" (Markus 9, 1). - Gut
gelogen, Löwe ...
"Wer mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst
und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
Denn ..." (Anmerkung eines Psychologen. Die
christliche Moral wird durch ihre Denns widerlegt:
ihre "Gründe" widerlegen, - so ist es christlich.)
Markus 8, 34. -
"Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.
Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen
werden" (Matthäus 7, 1). - Welcher Begriff von Gerechtigkeit,
von einem "gerechten" Richter! ...
"Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet
ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die
Zöllner? Und so ihr nur zu euren Brüdern freundlich
tut, was tut ihr Sonderliches? Tun nicht die Zöllner
auch also?" (Matthäus 5, 46.) - Prinzip der "christlichen
Liebe": sie will zuletzt gut bezahlt sein ...
"Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebet,
so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben"
(Matthäus 6, 15). - Sehr kompromittierend für den
genannten "Vater" ...
"Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und
nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles
zufallen" (Matthäus 6, 33). - Solches alles: nämlich
Nahrung, Kleidung, die ganze Notdurft des Lebens. Ein
Irrtum, bescheiden ausgedrückt ... Kurz vorher erscheint
Gott als Schneider, wenigstens in gewissen Fällen ...
"Freuet euch alsdann und hüpfet: denn siehe, euer
Lohn ist groß im Himmel. Desgleichen taten ihre Väter
den Propheten auch" (Lukas 6, 23). - Unverschämtes
Gesindel! Es vergleicht sich bereits mit den Propheten ...
"Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und
der Geist Gottes in euch wohnet? So jemand den Tempel
Gottes verderbet, den wird Gott verderben: denn
der Tempel Gottes ist heilig, der seid ihr" (Paulus
1. Korinther 3, 16). - Dergleichen kann man nicht genug
verachten ...
"Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten
werden? So denn nun die Welt soll von euch gerichtet
werden: seid ihr denn nicht gut genug, geringere Sachen
zu richten?" (Paulus 1. Korinther 6, 2.) - Leider nicht bloß
die Rede eines Irrenhäuslers ... Dieser fürchterliche
Betrüger fährt wörtlich fort: "Wisset ihr nicht, daß
wir über die Engel richten werden? Wie viel mehr
über die zeitlichen Güter!" ...
"Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit
gemacht? Denn dieweil die Welt durch ihre Weisheit
Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott
wohl, durch törichte Predigt selig zu machen Die, so
daran glauben ...; nicht viel Weise nach dem Fleisch,
nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. Sondern
was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählet,
daß er die Weisen zuschaden mache; und was
schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß
er zuschanden mache, was stark ist; und das Unedle vor
der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das
da nichts ist, daß er zunichte mache, was etwas ist. Auf
daß sich vor ihm kein Fleisch rühme" (Paulus 1. Korinther
1, 20 ff.). - Um diese Stelle, ein Zeugnis allerersten
Ranges für die Psychologie jeder Tschandala-Moral,
zu verstehn, lese man die erste Abhandlung
meiner Genealogie der Moral: in ihr wurde zum
erstenmal der Gegensatz einer vornehmen und einer
aus ressentiment und ohnmächtiger Rache gebornen
Tschandala-Moral ans Licht gestellt. Paulus war der
größte aller Apostel der Rache ...
46
- Was folgt daraus? Daß man gut tut, Handschuhe
anzuziehn, wenn man das neue Testament liest.
Die Nähe von so viel Unreinlichkeit zwingt beinahe dazu.
Wir würden uns "erste Christen" so wenig wie polnische
Juden zum Umgang wählen: nicht daß man gegen
sie auch nur einen Einwand nötig hätte ... Sie riechen
beide nicht gut. - Ich habe vergebens im neuen Testamente
auch nur nach Einem sympathischen Zuge ausgespäht;
nichts ist darin, was frei, gütig, offenherzig,
rechtschaffen wäre. Die Menschlichkeit hat hier noch
nicht ihren ersten Anfang gemacht, - die Instinkte der
Reinlichkeit fehlen ... Es gibt nur schlechte
Instinkte im neuen Testament, es gibt keinen Mut selbst
zu diesen schlechten Instinkten. Alles ist Feigheit, alles
ist Augen-schließen und Selbstbetrug darin. Jedes Buch
wird reinlich, wenn man eben das neue Testament gelesen
hat: ich las, um ein Beispiel zu geben, mit Entzücken
unmittelbar nach Paulus jenen anmutigsten, übermütigsten
Spötter Petronius, von dem man sagen könnte,
was Domenico Boccaccio über Cesare Borgia an den Herzog
von Parma schrieb: "è tutto festo" - unsterblich gesund,
unsterblich heiter und wohlgeraten ... Diese kleinen
Mucker verrechnen sich nämlich in der Hauptsache. Sie
greifen an, aber alles, was von ihnen angegriffen wird,
ist damit ausgezeichnet. Wen ein "erster Christ"
angreift, den besudelt er nicht ... Umgekehrt: es ist
eine Ehre, "erste Christen" gegen sich zu haben. Man
liest das neue Testament nicht ohne eine Vorliebe für
Das, was darin mißhandelt wird, - nicht zu reden von
der "Weisheit dieser Welt", welche ein frecher Windmacher
"durch törichte Predigt" umsonst zuschanden zu
machen sucht ... Aber selbst die Pharisäer und Schriftgelehrten
haben ihren Vorteil von einer solchen Gegnerschaft:
sie müssen schon etwas wert gewesen sein, um auf
eine so unanständige Weise gehaßt zu werden. Heuchelei
- das wäre ein Vorwurf, den "erste Christen" machen
dürften! - Zuletzt waren es die Privilegierten:
dies genügt, der Tschandala-Haß braucht keine Gründe
mehr. Der "erste Christ" - ich fürchte, auch der "letzte
Christ", den ich vielleicht noch erleben werde -
ist Rebell gegen alles Privilegierte aus unterstem Instinkte,
- er lebt, er kämpft immer für "gleiche
Rechte" ... Genauer zugesehn, hat er keine Wahl.
Will man, für seine Person, ein "Auserwählter Gottes"
sein - oder ein "Tempel Gottes", oder ein "Richter der
Engel" -, so ist jedes andre Prinzip der Auswahl, zum
Beispiel nach Rechtschaffenheit, nach Geist, nach Männlichkeit
und Stolz, nach Schönheit und Freiheit des
Herzens, einfach "Welt", - das Böse an sich ... Moral:
jedes Wort im Munde eines "ersten Christen" ist eine
Lüge, jede Handlung, die er tut, eine Instinkt-Falschheit,
- alle seine Werte, alle seine Ziele sind schädlich, aber
wen er haßt, was er haßt, das hat Wert ... Der
Christ, der Priester-Christ in Sonderheit, ist ein Kriterium
für Werte -- Habe ich noch zu sagen, daß im ganzen neuen Testament
bloß eine einzige Figur vorkommt,
die man ehren muß? Pilatus, der römische Statthalter.
Einen Judenhandel ernst zu nehmen - dazu
überredet er sich nicht. Ein Jude mehr oder weniger -
was liegt daran? ... Der vornehme Hohn eines Römers,
vor dem ein unverschämter Mißbrauch mit dem Wort
"Wahrheit" getrieben wird, hat das neue Testament mit
dem einzigen Wort bereichert, das Wert hat, - das
seine Kritik, seine Vernichtung selbst ist: "was ist
Wahrheit!" ...
47
- Das ist es nicht, was uns abscheidet, daß wir
keinen Gott wiederfinden, weder in der Geschichte, noch
in der Natur, noch hinter der Natur, - sondern daß wir,
was als Gott verehrt wurde, nicht als "göttlich", sondern
als erbarmungswürdig, als absurd, als schädlich empfinden,
nicht nur als Irrtum, sondern als Verbrechen am Leben ...
Wir leugnen Gott als Gott ... Wenn man
uns diesen Gott der Christen bewiese, wir würden ihn
noch weniger zu glauben wissen. - In Formel: deus
qualem Paulus creavit, dei negatio. - Eine Religion,
wie das Christentum, die sich an keinem Punkte mit der
Wirklichkeit berührt, die sofort dahinfällt, sobald die
Wirklichkeit auch nur an Einem Punkte zu Rechte kommt,
muß billigerweise der "Weisheit der Welt", will sagen
der Wissenschaft, todfeind sein, - sie wird alle
Mittel gut heißen, mit denen die Zucht des Geistes, die
Lauterkeit und Strenge in Gewissenssachen des Geistes,
die vornehme Kühle und Freiheit des Geistes vergiftet,
verleumdet, verrufen gemacht werden kann. Der
"Glaube" als Imperativ ist das Veto gegen die Wissenschaft, -
in praxi die Lüge um jeden Preis ... Paulus
begriff, daß die Lüge - daß "der Glaube" not tat; die
Kirche begriff später wieder Paulus. - Jener "Gott", den
Paulus sich erfand, ein Gott, der "die Weisheit der Welt"
(im engern Sinn die beiden großen Gegnerinnen alles
Aberglaubens, Philologie und Medizin) "zuschanden
macht", ist in Wahrheit nur der resolute Entschluß des
Paulus selbst dazu: "Gott" seinen eigenen Willen zu
nennen, thora, das ist urjüdisch. Paulus will "die Weisheit
der Welt" zuschanden machen: seine Feinde sind die
guten Philologen und Ärzte alexandrinischer Schulung, -
ihnen macht er den Krieg. In der Tat, man ist
nicht Philolog und Arzt, ohne nicht zugleich auch Antichrist
zu sein. Als Philolog schaut man nämlich hinter
die "heiligen Bücher", als Arzt hinter die physiologische
Verkommenheit des typischen Christen. Der Arzt sagt
"unheilbar", der Philolog "Schwindel" ...
48
- Hat man eigentlich die berühmte Geschichte verstanden,
die am Anfang der Bibel steht, - von der
Höllenangst Gottes vor der Wissenschaft? ... Man
hat sie nicht verstanden. Dies Priesterbuch par excellence
beginnt, wie billig, mit der großen inneren Schwierigkeit
des Priesters: er hat nur Eine große Gefahr,
folglich hat "Gott" nur Eine große Gefahr. -
Der alte Gott, ganz "Geist", ganz Hoherpriester, ganz
Vollkommenheit, lustwandelt in seinem Garten: nur daß
er sich langweilt. Gegen die Langeweile kämpfen Götter
selbst vergebens. Was tut er? Er erfindet den Menschen, -
der Mensch ist unterhaltend ... Aber siehe
da, auch der Mensch langweilt sich. Das Erbarmen
Gottes mit der einzigen Not, die alle Paradiese an sich
haben, kennt keine Grenzen: er schuf alsbald noch andre
Tiere. Erster Fehlgriff Gottes: der Mensch fand die
Tiere nicht unterhaltend, - er herrschte über sie, er
wollte nicht einmal "Tier" sein. - Folglich schuf Gott
das Weib. Und in der Tat, mit der Langenweile hatte
es nun ein Ende, - aber auch mit anderem noch! Das
Weib war der zweite Fehlgriff Gottes. - "Das Weib
ist seinem Wesen nach Schlange, Heva" - das weiß
jeder Priester; "vom Weib kommt jedes Unheil in der
Welt" - das weiß ebenfalls jeder Priester. "Folglich
kommt von ihm auch die Wissenschaft" ... Erst
durch das Weib lernte der Mensch vom Baume der Erkenntnis
kosten. - Was war geschehen? Den alten Gott
ergriff eine Höllenangst. Der Mensch selbst war sein
größter Fehlgriff geworden, er hatte sich einen Rivalen
geschaffen, die Wissenschaft macht gottgleich, - es ist
mit Priestern und Göttern zu Ende, wenn der Mensch
wissenschaftlich wird! - Moral: die Wissenschaft ist
das Verbotene an sich, - sie allein ist verboten. Die
Wissenschaft ist die erste Sünde, der Keim aller Sünde,
die Erbsünde. Dies allein ist Moral. - "Du sollst
nicht erkennen": - der Rest folgt daraus. - Die Höllenangst
Gottes verhinderte ihn nicht, klug zu sein. Wie
wehrt man sich gegen die Wissenschaft? das wurde für
lange sein Hauptproblem. Antwort: fort mit dem Menschen
aus dem Paradiese! Das Glück, der Müßiggang
bringt auf Gedanken, - alle Gedanken sind schlechte
Gedanken ... Der Mensch soll nicht denken. - Und der
"Priester an sich" erfindet die Not, den Tod, die Lebensgefahr
der Schwangerschaft, jede Art von Elend, Alter, Mühsal,
die Krankheit vor allem, - lauter Mittel im
Kampfe mit der Wissenschaft! Die Not erlaubt dem
Menschen nicht, zu denken ... Und trotzdem! entsetzlich!
Das Werk der Erkenntnis türmt sich auf, himmelstürmend,
götter-andämmernd, - was tun! - Der alte
Gott erfindet den Krieg, er trennt die Völker, er macht,
daß die Menschen sich gegenseitig vernichten (- die
Priester haben immer den Krieg nötig gehabt ...). Der
Krieg - unter anderem ein großer Störenfried der
Wissenschaft! - Unglaublich! Die Erkenntnis, die
Emanzipation vom Priester, nimmt selbst trotz
Kriegen zu. - Und ein letzter Entschluß kommt dem
alten Gotte: "der Mensch ward wissenschaftlich, - es
hilft nichts, man muß ihn ersäufen!" ...
49
- Man hat mich verstanden. Der Anfang der Bibel
enthält die ganze Psychologie des Priesters. - Der
Priester kennt nur Eine große Gefahr: das ist die Wissenschaft, -
der gesunde Begriff von Ursache und Wirkung.
Aber die Wissenschaft gedeiht im ganzen nur unter
glücklichen Verhältnissen, - man muß Zeit, man muß
Geist überflüssig haben, um zu "erkennen" ... "Folglich
muß man den Menschen unglücklich machen", -
dies war zu jeder Zeit die Logik des Priesters. - Man
errät bereits, was, dieser Logik gemäß, damit erst in
die Welt gekommen ist: - die "Sünde" ... Der Schuld- und
Strafbegriff, die ganze "sittliche Weltordnung" ist
erfunden gegen die Wissenschaft, - gegen die
Ablösung des Menschen vom Priester ... Der Mensch soll
nicht hinaus-, er soll in sich hineinsehen; er soll nicht
klug und vorsichtig, als Lernender, in die Dinge sehn,
er soll überhaupt gar nicht sehn: er soll leiden ...
Und er soll so leiden, daß er jederzeit den Priester nötig
hat. - Weg mit den Ärzten! Man hat einen Heiland
nötig. - Der Schuld- und Straf-Begriff, eingerechnet
die Lehre von der "Gnade", von der "Erlösung",
von der "Vergebung" - Lügen durch und durch und
ohne jede psychologische Realität - sind erfunden, um
den Ursachen-Sinn des Menschen zu zerstören: sie
sind das Attentat gegen den Begriff Ursache und Wirkung! -
Und nicht ein Attentat mit der Faust, mit dem
Messer, mit der Ehrlichkeit in Haß und Liebe! Sondern
aus den feigsten, listigsten, niedrigsten Instinkten heraus!
Ein Priester-Attentat! Ein Parasiten-Attentat! Ein
Vampyrismus bleicher unterirdischer Blutsauger! ...
Wenn die natürlichen Folgen einer Tat nicht mehr
"natürlich" sind, sondern durch Begriffs-Gespenster des
Aberglaubens, durch "Gott", durch "Geister", durch
"Seelen" bewirkt gedacht werden, als bloß "moralische"
Konsequenzen, als Lohn, Strafe, Wink, Erziehungsmittel,
so ist die Voraussetzung zur Erkenntnis zerstört, - so
hat man das größte Verbrechen an der Menschheit
begangen. - Die Sünde, nochmals gesagt, diese
Selbstschändungs-Form des Menschen par excellence, ist
erfunden, um Wissenschaft, um Kultur, um jede Erhöhung
und Vornehmheit des Menschen unmöglich zu machen;
der Priester herrscht durch die Erfindung der Sünde. -
50
- Ich erlasse mir an dieser Stelle eine Psychologie
des "Glaubens", der "Gläubigen" nicht, zum Nutzen, wie
billig, gerade der "Gläubigen". Wenn es heute noch an
solchen nicht fehlt, die es nicht wissen, inwiefern es
unanständig ist, "gläubig" zu sein - oder ein Abzeichen
von décadence, von gebrochnem Willen zum
Leben -, morgen schon werden sie es wissen. Meine
Stimme erreicht auch die Harthörigen. - Es scheint,
wenn anders ich mich nicht verhört habe, daß es unter
Christen eine Art Kriterium der Wahrheit gibt, das man
den "Beweis der Kraft" nennt. "Der Glaube macht selig:
also ist er wahr." - Man dürfte hier zunächst einwenden,
daß gerade das Seligmachen nicht bewiesen,
sondern nur versprochen ist: die Seligkeit an die
Bedingung des "Glaubens" geknüpft, - man soll selig
werden, weil man glaubt ... Aber daß tatsächlich
eintritt, was der Priester dem Gläubigen für das jeder Kontrolle
unzugängliche "Jenseits" verspricht, womit bewiese sich
das? - Der angebliche "Beweis der Kraft"
ist also im Grunde wieder nur ein Glaube daran, daß
die Wirkung nicht ausbleibt, welche man sich vom Glauben
verspricht. In Formel: "ich glaube, daß der Glaube
selig macht; - folglich ist er wahr." - Aber damit
sind wir schon am Ende. Dies "folglich" wäre das
absurdum selbst als Kriterium der Wahrheit. - Setzen wir
aber, mit einiger Nachgiebigkeit, daß das Seligmachen
durch den Glauben bewiesen sei (- nicht nur gewünscht,
nicht nur durch den etwas verdächtigen Mund eines
Priesters versprochen): wäre Seligkeit - technischer geredet,
Lust - jemals ein Beweis der Wahrheit? So
wenig, daß es beinahe den Gegenbeweis, jedenfalls den
höchsten Argwohn gegen die "Wahrheit" abgibt, wenn
Lustempfindungen über die Frage "was ist wahr?" mitreden.
Der Beweis der "Lust" ist ein Beweis für "Lust",
- nichts mehr; woher um alles in der Welt stünde es
fest, daß gerade wahre Urteile mehr Vergnügen machten
als falsche und, gemäß einer prästabilierten Harmonie,
angenehme Gefühle mit Notwendigkeit hinter sich drein
zögen? - Die Erfahrung aller strengen, aller tief gearteten
Geister lehrt das Umgekehrte. Man hat jeden
Schritt breit Wahrheit sich abringen müssen, man hat
fast alles dagegen preisgeben müssen, woran sonst das
Herz, woran unsre Liebe, unser Vertrauen zum Leben
hängt. Es bedarf Größe der Seele dazu: der Dienst der
Wahrheit ist der härteste Dienst. - Was heißt denn
rechtschaffen sein in geistigen Dingen? Daß man
streng gegen sein Herz ist, daß man die "schönen Gefühle"
verachtet, daß man sich aus jedem Ja und Nein
ein Gewissen macht! --- Der Glaube macht selig:
folglich lügt er ...
51
Daß der Glaube unter Umständen selig macht, daß
Seligkeit aus einer fixen Idee noch nicht eine wahre
Idee macht, daß der Glaube keine Berge versetzt, wohl
aber Berge hinsetzt, wo es keine gibt: ein flüchtiger
Gang durch ein Irrenhaus klärt zur Genüge darüber
auf. Nicht freilich einen Priester: denn der leugnet aus
Instinkt, daß Krankheit Krankheit, daß Irrenhaus Irrenhaus
ist. Das Christentum hat die Krankheit nötig,
ungefähr wie das Christentum einen Überschuß von
Gesundheit nötig hat, - krank-machen ist die eigentliche
Hinterabsicht des ganzen Heilsprozeduren-Systems der
Kirche. Und die Kirche selbst - ist sie nicht das katholische
Irrenhaus als letztes Ideal? - Die Erde überhaupt
als Irrenhaus? - Der religiöse Mensch, wie ihn
die Kirche will, ist ein typischer décadent: der
Zeitpunkt, wo eine religiöse Krisis über ein Volk Herr wird,
ist jedesmal durch Nerven-Epidemien gekennzeichnet;
die "innere Welt" des religiösen Menschen sieht der
"inneren Welt" der Überreizten und Erschöpften zum
Verwechseln ähnlich; die "höchsten" Zustände, welche das
Christentum als Wert aller Werte über die Menschheit
aufgehängt hat, sind epileptoide Formen, - die Kirche
hat nur Verrückte oder große Betrüger in majorem dei
honorem heiliggesprochen ... Ich habe mir einmal
erlaubt, den ganzen christlichen Buß- und Erlösungstraining
(den man heute am besten in England studiert)
als eine methodisch erzeugte folie circulaire zu bezeichnen,
wie billig, auf einem bereits dazu vorbereiteten,
das heißt gründlich morbiden Boden. Es steht niemandem
frei, Christ zu werden: man wird zum Christentum nicht
"bekehrt", - man muß krank genug dazu sein ... Wir
anderen, die wir den Mut zur Gesundheit und auch zur
Verachtung haben, wie dürfen wir eine Religion verachten,
die den Leib mißverstehn lehrte! die den Seelen-Aberglauben
nicht loswerden will! die aus der unzureichenden Ernährung
ein "Verdienst" macht! die in
der Gesundheit eine Art Feind, Teufel, Versuchung bekämpft!
die sich einredete, man könne eine "vollkommne
Seele" in einem Kadaver von Leib herumtragen, und dazu
nötig hatte, einen neuen Begriff der "Vollkommenheit"
sich zurechtzumachen, ein bleiches, krankhaftes, idiotisch-schwärmerisches
Wesen, die sogenannte "Heiligkeit", -
Heiligkeit, selbst bloß eine Symptonen-Reihe des verarmten,
entnervten, unheilbar verdorbenen Leibes! ...
Die christliche Bewegung, als eine europäische Bewegung,
ist von vornherein eine Gesamt-Bewegung der Ausschuß-
und Abfalls-Elemente aller Art (- diese wollen mit dem
Christentum zur Macht). Sie drückt nicht den Niedergang
einer Rasse aus, sie ist eine Aggregat-Bildung sich
zusammendrängender und sich suchender décadence-Formen
von überall. Es ist nicht, wie man glaubt, die
Korruption des Altertums selbst, des vornehmen Altertums,
was das Christentum ermöglichte: man kann dem
gelehrten Idiotismus, der auch heute noch so etwas aufrechterhält,
nicht hart genug widersprechen. In der Zeit,
wo die kranken, verdorbenen Tschandala-Schichten im
ganzen imperium sich christianisierten, war gerade der
Gegentypus, die Vornehmheit, in ihrer schönsten und
reifsten Gestalt vorhanden. Die große Zahl wurde Herr;
der Demokratismus der christlichen Instinkte siegte ...
Das Christentum war nicht "national", nicht rassebedingt,
- es wendete sich an jede Art von Enterbten des Lebens,
er hatte seine Verbündeten überall. Das
Christentum hat die Ranküne der Kranken auf dem
Grunde, den Instinkt gegen die Gesunden, gegen die
Gesundheit gerichtet. Alles Wohlgeratene, Stolze, Übermütige,
die Schönheit vor allem tut ihm in Ohren und
Augen weh. Nochmals erinnre ich an das unschätzbare
Wort des Paulus: "Was schwach ist vor der Welt, was
töricht ist vor der Welt, das Unedle und Verachtete
vor der Welt hat Gott erwählet": das war die
Formel, in hoc signo siegte die décadence. - Gott am
Kreuze - versteht man immer noch die furchtbare
Hintergedanklichkeit dieses Symbols nicht? - Alles was
leidet, alles was am Kreuze hängt, ist göttlich ...
Wir alle hängen am Kreuze, folglich sind wir göttlich ...
Wir allein sind göttlich ... Das Christentum war ein Sieg,
eine vornehmere Gesinnung ging an ihm zugrunde, -
das Christentum war bisher das größte Unglück der
Menschheit. --
52
Das Christentum steht auch im Gegensatz zu aller
geistigen Wohlgeratenheit, - es kann nur die kranke
Vernunft als christliche Vernunft brauchen, es nimmt die
Partei alles Idiotischen, es spricht den Fluch aus gegen
den "Geist", gegen die superbia des gesunden Geistes.
Weil die Krankheit zum Wesen des Christentums gehört,
muß auch der typisch-christliche Zustand, "der
Glaube", eine Krankheitsform sein, müssen alle
geraden, rechtschaffnen, wissenschaftlichen Wege zur Erkenntnis
von der Kirche als verbotene Wege abgelehnt werden.
Der Zweifel bereits ist eine Sünde ... Der vollkommne
Mangel an psychologischer Reinlichkeit beim Priester -
im Blick sich verratend - ist eine Folgeerscheinung der
décadence, - man hat die hysterischen Frauenzimmer,
andrerseits rachitisch angelegte Kinder daraufhin zu beobachten,
wie regelmäßig Falschheit aus Instinkt, Lust
zu lügen, um zu lügen, Unfähigkeit zu geraden Blicken
und Schritten der Ausdruck von décadence ist. "Glaube"
heißt Nicht-wissen-wollen, was wahr ist. Der Pietist,
der Priester beiderlei Geschlechts, ist falsch, weil er
krank ist: sein Instinkt verlangt, daß die Wahrheit an
keinem Punkt zu Rechte kommt. "Was krank macht,
ist gut; was aus der Fülle, aus dem Überfluß, aus der
Macht kommt, ist böse": so empfindet der Gläubige.
Die Unfreiheit zur Lüge - daran errate ich jeden
vorherbestimmten Theologen. - Ein andres Abzeichen
des Theologen ist sein Unvermögen zur Philogie.
Unter Philologie soll hier, in einem sehr allgemeinen
Sinne, die Kunst, gut zu lesen, verstanden werden, -
Tatsachen ablesen können, ohne sie durch Interpretation
zu fälschen, ohne im Verlangen nach Verständnis die
Vorsicht, die Geduld, die Feinheit zu verlieren. Philologie
als Ephexis in der Interpretation: handle es sich
nun um Bücher, um Zeitungs-Neuigkeiten, um Schicksale
oder Wetter-Tatsachen, - nicht zu reden vom "Heil der
Seele" ... Die Art, wie ein Theolog, gleichgültig ob in
Berlin oder in Rom, ein "Schriftwort" auslegt oder ein
Erlebnis, einen Sieg des vaterländischen Heers zum Beispiel
unter der höheren Beleuchtung der Psalmen Davids,
ist immer dergestalt kühn, daß ein Philolog dabei an
allen Wänden emporläuft. Und was soll er gar anfangen,
wenn Pietisten und andre Kühe aus dem Schwabenlande
den armseligen Alltag und Stubenrauch ihres Daseins
mit dem "Finger Gottes" zu einem Wunder von "Gnade",
von "Vorsehung", von "Heilserfahrungen" zurechtmachen!
Der bescheidenste Aufwand von Geist, um nicht
zu sagen von Anstand, müßte diese Interpreten
doch dazu bringen, sich des vollkommen Kindischen und
Unwürdigen eines solches Mißbrauchs der göttlichen Fingerfertigkeit
zu überführen. Mit einem noch so kleinen
Maße von Frömmigkeit im Leibe sollte uns ein Gott, der
zur rechten Zeit vom Schnupfen kuriert, oder der uns
in einem Augenblick in die Kutsche steigen heißt, wo
gerade ein großer Regen losbricht, ein so absurder Gott
sein, daß man ihn abschaffen müßte, selbst wenn er
existierte. Ein Gott als Dienstbote, als Briefträger, als
Kalendermann, - im Grunde ein Wort für die dümmste
Art aller Zufälle ... Die "göttliche Vorsehung", wie sie
heute noch ungefähr jeder dritte Mensch im "gebildeten
Deutschland" glaubt, wäre ein Einwand gegen Gott, wie
er stärker gar nicht gedacht werden könnte. Und in
jedem Fall ist er ein Einwand gegen Deutsche! ...
53
- Daß Märtyrer etwas für die Wahrheit einer Sache
beweisen, ist so wenig wahr, daß ich leugnen möchte, es
habe je ein Märtyrer überhaupt etwas mit der Wahrheit
zu tun gehabt. In dem Tone, mit dem ein Märtyrer sein
Für-wahr-halten der Welt an den Kopf wirft, drückt sich
bereits ein so niedriger Grad intellektueller Rechtschaffenheit,
eine solche Stumpfheit für die Frage "Wahrheit"
aus, daß man einen Märtyrer nie zu widerlegen braucht.
Die Wahrheit ist nichts, was einer hätte und ein andrer
nicht hätte: so können höchstens Bauern oder Bauern-Apostel
nach Art Luthers über die Wahrheit denken.
Man darf sicher sein, daß je nach dem Grade der Gewissenhaftigkeit
in Dingen des Geistes die Bescheidenheit,
die Bescheidung in diesem Punkte immer größer
wird. In fünf Sachen wissen, und mit zarter Hand es
ablehnen, sonst zu wissen ... "Wahrheit" wie das Wort
jeder Prophet, jeder Sektierer, jeder Freigeist, jeder
Sozialist, jeder Kirchenmann versteht, ist ein vollkommner
Beweis dafür, daß auch noch nicht einmal der
Anfang mit jener Zucht des Geistes und Selbstüberwindung
gemacht ist, die zum Finden irgend einer kleinen,
noch so kleinen Wahrheit not tut. - Die Märtyrer-Tode,
anbei gesagt, sind ein großes Unglück in der Geschichte
gewesen: sie verführten ... Der Schluß aller Idioten,
Weiber und Volk eingerechnet, daß es mit einer Sache, für
die jemand in den Tod geht (oder die gar, wie das erste
Christentum, todsüchtige Epidemien erzeugt), etwas auf
sich habe, - dieser Schluß ist der Prüfung, dem Geist
der Prüfung und Vorsicht unsäglich zum Hemmschuh
geworden. Die Märtyrer schadeten der Wahrheit ...
Auch heute noch bedarf es nur einer Krudität der Verfolgung,
um einer an sich noch so gleichgültigen Sektiererei
einen ehrenhaften Namen zu schaffen. - Wie?
ändert es am Werte einer Sache etwas, daß jemand für
sie sein Leben läßt? - Ein Irrtum, der ehrenhaft wird,
ist ein Irrtum, der einen Verführungsreiz mehr besitzt:
glaubt ihr, daß wir euch Anlaß geben würden, ihr Herrn
Theologen, für eure Lüge die Märtyrer zu machen? -
Man widerlegt eine Sache, indem man sie achtungsvoll
aufs Eis legt, - ebenso widerlegt man auch Theologen ...
Gerade das war die welthistorische Dummheit aller Verfolger,
daß sie der gegnerischen Sache den Anschein des
Ehrenhaften gaben, - daß sie ihr die Faszination des
Martyriums zum Geschenk machten ... Das Weib liegt
heute noch auf den Knien vor einem Irrtum, weil man
ihm gesagt hat, daß jemand dafür am Kreuze starb. Ist
denn das Kreuz ein Argument? -- Aber über alle
diese Dinge hat einer allein das Wort gesagt, das man
seit Jahrtausenden nötig gehabt hätte, - Zarathustra.
Blutzeichen schrieben sie auf den Weg, den sie gingen, und
ihre Torheit lehrte, daß man mit Blut die Wahrheit beweise.
Aber Blut ist der schlechteste Zeuge der Wahrheit;
Blut vergiftet die reinste Lehre noch zu Wahn und Haß
der Herzen.
Und wenn einer durchs Feuer ginge für seine Lehre,
- was beweist dies! Mehr ist's wahrlich, daß aus eignem
Brande die eigne Lehre kommt (S. 99).
54
Man lasse sich nicht irreführen: große Geister sind
Skeptiker. Zarathustra ist ein Skeptiker. Die Stärke,
die Freiheit aus der Kraft und Überkraft des Geistes
beweist sich durch Skepsis. Menschen der Überzeugung
kommen für alles Grundsätzliche von Wert und Unwert
gar nicht in Betracht. Überzeugungen sind Gefängnisse.
Das sieht nicht weit genug, das sieht nicht unter sich:
aber um über Wert und Unwert mitreden zu dürfen,
muß man fünfhundert Überzeugungen unter sich sehn,
- hinter sich sehn ... Ein Geist, der Großes will,
der auch die Mittel dazu will, ist mit Notwendigkeit
Skeptiker. Die Freiheit von jeder Art Überzeugungen
gehört zur Stärke, das Frei-Blicken-können ... Die
große Leidenschaft, der Grund und die Macht seines
Seins, noch aufgeklärter, noch despotischer, als er selbst
es ist, nimmt seinen ganzen Intellekt in Dienst; sie macht
unbedenklich; sie gibt ihm Mut sogar zu unheiligen
Mitteln; sie gönnt ihm unter Umständen Überzeugungen.
Die Überzeugung als Mittel: vieles erreicht man nur
mittels einer Überzeugung. Die große Leidenschaft
braucht, verbraucht Überzeugungen, sie unterwirft sich
ihnen nicht, - sie weiß sich souverän. - Umgekehrt:
das Bedürfnis nach Glauben, nach irgend etwas Unbedingtem
von Ja und Nein, der Carlylismus, wenn man
mir dies Wort nachsehn will, ist ein Bedürfnis der
Schwäche. Der Mensch des Glaubens, der "Gläubige"
jeder Art ist notwendig ein abhängiger Mensch, - ein
solcher, der sich nicht als Zweck, der von sich aus überhaupt
nicht Zwecke ansetzen kann. Der "Gläubige" gehört
sich nicht, er kann nur Mittel sein, er muß verbraucht
werden, er hat jemand nötig, der ihn verbraucht.
Sein Instinkt gibt eine Moral der Entselbstung die
höchste Ehre: zu ihr überredet ihn alles, seine Klugheit,
seine Erfahrung, seine Eitelkeit. Jede Art Glaube
ist selbst ein Ausdruck von Entselbstung, von Selbst-Entfremdung ...
Erwägt man, wie notwendig den allermeisten ein Regulativ
ist, das sie von außen her bindet
und festmacht, wie der Zwang, in einem höheren Sinn die
Sklaverei, die einzige und letzte Bedingung ist, unter
der der willensschwächere Mensch, zumal das Weib,
gedeiht: so versteht man auch die Überzeugung, den
"Glauben". Der Mensch der Überzeugung hat in ihr sein
Rückgrat. Viele Dinge nicht sehn, in keinem Punkte
unbefangen sein, Partei sein durch und durch, eine strenge
und notwendige Optik in allen Werten haben - das
allein bedingt es, daß eine solche Art Mensch überhaupt
besteht. Aber damit ist sie der Gegensatz, der Antagonist des
Wahrhaftigen, - der Wahrheit ... Dem
Gläubigen steht es nicht frei, für die Frage "wahr" und
"unwahr" überhaupt ein Gewissen zu haben: rechtschaffen
sein an dieser Stelle wäre sofort sein Untergang.
Die pathologische Bedingtheit seiner Optik macht
aus dem Überzeugten den Fanatiker - Savonarola,
Luther, Rousseau, Robespierre, Saint-Simon -, den
Gegensatz-Typus des starken, des freigewordnen Geistes.
Aber die große Attitüde dieser kranken Geister, dieser
Epileptiker des Begriffs, wirkt auf die große Masse, -
die Fanatiker sind pittoresk, die Menschheit sieht Gebärden
lieber, als daß sie Gründe hört ...
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