Religionskritik
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Nietzsche (Inhalt)
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Friedrich Nietzsche
Der Antichrist
Fluch auf das Christentum
32
Ich wehre mich, nochmals gesagt, dagegen, daß man
den Fanatiker in den Typus des Erlösers einträgt: das
Wort impérieux, das Renan gebraucht, annulliert allein
schon den Typus. Die "gute Botschaft" ist eben, daß es
keine Gegensätze mehr gibt; das Himmelreich gehört den
Kindern; der Glaube, der hier laut wird, ist kein erkämpfter
Glaube, - er ist da, er ist von Anfang, er ist
gleichsam eine ins Geistige zurückgetretene Kindlichkeit.
Der Fall der verzögerten und im Organismus unausgebildeten
Pubertät, als Folgeerscheinung der Degenereszenz,
ist wenigstens den Physiologen vertraut. - Ein
solcher Glaube zürnt nicht, tadelt nicht, wehrt sich nicht:
er bringt nicht "das Schwert", - er ahnt gar nicht, inwiefern
er einmal trennen könnte. Er beweist sich nicht,
weder durch Wunder, noch durch Lohn und Verheißung,
noch gar "durch die Schrift": er selbst ist jeden Augenblick
sein Wunder, sein Lohn, sein Beweis, sein "Reich Gottes".
Dieser Glaube formuliert sich auch nicht, -
er lebt, er wehrt sich gegen Formeln. Freilich bestimmt
der Zufall der Umgebung, der Sprache, der Vorbildung
einen gewissen Kreis von Begriffen: das erste Christentum
handhabt nur jüdisch-semitische Begriffe (- das
Essen und Trinken beim Abendmahl gehört dahin, jener
von der Kirche, wie alles Jüdische, so schlimm mißbrauchte
Begriff). Aber man hüte sich, darin mehr als
eine Zeichenrede, eine Semiotik, eine Gelegenheit zu
Gleichnissen zu sehn. Gerade, daß kein Wort wörtlich
genommen wird, ist diesem Anti-Realisten die Vorbedingung,
um überhaupt reden zu können. Unter Indern
würde er sich der Sankhyam-Begriffe, unter Chinesen
der des Laotse bedient haben - und keinen Unterschied
dabei fühlen. - Man könnte, mit einiger Toleranz im
Ausdruck, Jesus einen "freien Geist" nennen - er macht
sich aus allem Festen nichts: das Wort tötet, alles, was
fest ist, tötet. Der Begriff der Erfahrung "Leben",
wie er sie allein kennt, widerstrebt bei ihm jeder Art
Wort, Formel, Gesetz, Glaube, Dogma. Er redet bloß
vom Innersten: "Leben" oder "Wahrheit" oder "Licht"
ist sein Wort für das Innerste, - alles übrige, die ganze
Realität, die ganze Natur, die Sprache selbst, hat für
ihn bloß den Wert eines Zeichens, eines Gleichnisses. -
Man darf sich an dieser Stelle durchaus nicht vergreifen,
so groß auch die Verführung ist, welche im christlichen,
will sagen kirchlichen Vorurteil liegt: ein solcher
Symboliker par excellence steht außerhalb aller Religion,
aller Kult-Begriffe, aller Historie, aller Naturwissenschaft,
aller Welt-Erfahrung, aller Kenntnisse, aller Politik,
aller Psychologie, aller Bücher, aller Kunst, -
sein "Wissen" ist eben die reine Torheit darüber, daß
es etwas dergleichen gibt. Die Kultur ist ihm nicht
einmal von Hörensagen bekannt, er hat keinen Kampf
gegen sie nötig, - er verneint sie nicht ... Dasselbe
gilt vom Staat, von der ganzen bürgerlichen Ordnung
und Gesellschaft, von der Arbeit, vom Kriege, - er
hat nie einen Grund gehabt, "die Welt" zu verneinen, er
hat den kirchlichen Begriff "Welt" nie geahnt ... Das
Verneinen ist eben das ihm ganz Unmögliche -. Insgleichen
fehlt die Dialektik, es fehlt die Vorstellung
davon, daß ein Glaube, eine "Wahrheit" durch Gründe
bewiesen werden könnte (- seine Beweise sind innere
"Lichter", innere Lustgefühle und Selbstbejahungen,
lauter "Beweise der Kraft" -). Eine solche Lehre kann
auch nicht widersprechen: sie begreift gar nicht, daß es
andre Lehren gibt, geben kann, sie weiß sich ein gegenteiliges
Urteilen gar nicht vorzustellen ... Wo sie es
antrifft, wird sie aus innerstem Mitgefühle über "Blindheit"
trauern - denn sie sieht das "Licht" -, aber
keinen Einwand machen ...
33
In der ganzen Psychologie des "Evangeliums" fehlt
der Begriff Schuld und Strafe; insgleichen der Begriff
Lohn. Die "Sünde", jedwedes Distanz-Verhältnis zwischen
Gott und Mensch ist abgeschafft, - eben das
ist die "frohe Botschaft". Die Seligkeit wird nicht
verheißen, sie wird nicht an Bedingungen geknüpft: sie
ist die einzige Realität - der Rest ist Zeichen, um
von ihr zu reden ...
Die Folge eines solchen Zustandes projiziert sich in
eine neue Praktik, die eigentlich evangelische Praktik.
Nicht ein "Glaube" unterscheidet den Christen: der Christ
handelt, er unterscheidet sich durch ein andres Handeln.
Daß er Dem, der böse gegen ihn ist, weder durch
Wort, noch im Herzen Widerstand leistet. Daß er keinen
Unterschied zwischen Fremden und Einheimischen,
zwischen Juden und Nicht-Juden macht ("der Nächste"
eigentlich der Glaubensgenosse, der Jude). Daß er sich
gegen niemanden erzürnt, niemanden geringschätzt. Daß
er sich bei Gerichtshöfen weder sehn läßt, noch in Anspruch
nehmen läßt ("nicht schwören"). Daß er sich
unter keinen Umständen, auch nicht im Falle bewiesener
Untreue des Weibes, von seinem Weibe scheidet. - Alles
im Grunde Ein Satz, alles Folgen Eines Instinkts. -
Das Leben des Erlösers war nichts andres als diese
Praktik, - sein Tod war auch nichts andres ... Er
hatte keine Formeln, keinen Ritus für den Verkehr mit
Gott mehr nötig, - nicht einmal das Gebet. Er hat
mit der ganzen jüdischen Buß- und Versöhnungs-Lehre
abgerechnet; er weiß, wie es allein die Praktik des
Lebens ist, mit der man sich "göttlich", "selig", "evangelisch",
jederzeit ein "Kind Gottes" fühlt. Nicht
"Buße", nicht "Gebet um Vergebung" sind Wege zu
Gott: die evangelische Praktik allein führt zu
Gott, sie eben ist "Gott"! - Was mit dem Evangelium
abgetan war, das war das Judentum der Begriffe
"Sünde", "Vergebung der Sünde", "Glaube", "Erlösung
durch den Glauben", - die ganze jüdische Kirchen-Lehre
war in der "frohen Botschaft" verneint.
Der tiefe Instinkt dafür, wie man leben müsse, um
sich "im Himmel" zu fühlen, um sich "ewig" zu fühlen,
während man sich bei jedem andern Verhalten durchaus
nicht "im Himmel" fühlt: dies allein ist die psychologische
Realität der "Erlösung". - Ein neuer Wandel,
nicht ein neuer Glaube ...
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Wenn ich irgend etwas von diesem großen Symbolisten
verstehe, so ist es Das, daß er nur innere Realitäten als
Realitäten, als "Wahrheiten" nahm, - daß er den Rest,
alles Natürliche, Zeitliche, Räumliche, Historische nur
als Zeichen, als Gelegenheit zu Gleichnissen verstand.
Der Begriff "des Menschen Sohn" ist nicht eine konkrete
Person, die in die Geschichte gehört, irgend etwas Einzelnes,
Einmaliges, sondern eine "ewige" Tatsächlichkeit,
ein von dem Zeitbegriff erlöstes psychologisches Symbol.
Dasselbe gilt noch einmal, und im höchsten Sinne, von
dem Gott dieses typischen Symbolisten, vom "Reich
Gottes", vom "Himmelreich", von der "Kindschaft
Gottes". Nichts ist unchristlicher als die kirchlichen
Kruditäten von einem Gott als Person, von einem
"Reich Gottes", welches kommt, von einem "Himmelreich"
jenseits, von einem "Sohne Gottes", der zweiten
Person der Trinität. Dies alles ist - man vergebe mir
den Ausdruck - die Faust auf dem Auge - o auf was
für einem Auge! - des Evangeliums: ein welthistorischer
Zynismus in der Verhöhnung des Symbols ...
Aber es liegt ja auf der Hand, was mit dem Zeichen
"Vater" und "Sohn" angerührt wird - nicht auf jeder
Hand, ich gebe es zu: mit dem Wort "Sohn" ist der Eintritt
in das Gesamt-Verklärungs-Gefühl aller Dinge (die
Seligkeit) ausgedrückt, mit dem Wort "Vater" dieses
Gefühl selbst, das Ewigkeits-, das Vollendungs-Gefühl.
- Ich schäme mich daran zu erinnern, was die Kirche
aus diesem Symbolismus gemacht hat: hat sie nicht eine
Amphitryon-Geschichte an die Schwelle des christlichen
"Glaubens" gesetzt? Und ein Dogma von der "unbefleckten
Empfängnis" noch obendrein? ... Aber damit hat
sie die Empfängnis befleckt --
Das "Himmelreich" ist ein Zustand des Herzens, -
nicht etwas, das "über die Erde" oder "nach dem Tode"
kommt. Der ganze Begriff des natürlichen Todes fehlt
im Evangelium: der Tod ist keine Brücke, kein Übergang,
er fehlt, weil einer ganz andern, bloß scheinbaren, bloß
zu Zeichen nützlichen Welt zugehörig. Die "Todesstunde"
ist kein christlicher Begriff, - die "Stunde", die
Zeit, das physische Leben und seine Krisen sind gar nicht
vorhanden für den Lehrer der "frohen Botschaft" ...
Das "Reich Gottes" ist nichts, das man erwartet; es hat
kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in
"tausend Jahren", - es ist eine Erfahrung an einem
Herzen; es ist überall da, es ist nirgends da ...
35
Dieser "frohe Botschafter" starb wie er lebte, wie er
lehrte - nicht um "die Menschen zu erlösen", sondern
um zu zeigen, wie man zu leben hat. Die Praktik ist
es, welche er der Menschheit hinterließ: sein Verhalten
vor den Richtern, vor den Häschern, vor den Anklägern
und aller Art Verleumdung und Hohn, - sein Verhalten
am Kreuz. Er widersteht nicht, er verteidigt nicht sein
Recht, er tut keinen Schritt, der das Äußerste vom ihm abwehrt,
mehr noch, er fordert es heraus ... Und er
bittet, er leidet, er liebt mit denen, in denen, die ihm
Böses tun ... Die Worte zum Schächer am Kreuz enthalten
das ganze Evangelium. "Das ist wahrlich ein göttlicher
Mensch gewesen, ein "Kind Gottes" sagt der Schächer. "Wenn du dies
fühlst - antwortet der Erlöser -
so bist du im Paradiese, so bist auch du ein Kind
Gottes ..." Nicht sich wehren, nicht zürnen,
nicht verantwortlich-machen ... Sondern auch nicht dem
Bösen widerstehn, - ihn lieben ...
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- Erst wir, wir freigewordenen Geister, haben die Voraussetzung
dafür, etwas zu verstehn, das neunzehn Jahrhunderte
mißverstanden haben, - jene Instinkt und Leidenschaft
gewordene Rechtschaffenheit, welche der "heiligen Lüge"
noch mehr als jeder andern Lüge den Krieg macht ...
Man war unsäglich entfernt von unsrer liebevollen und
vorsichtigen Neutralität, von jener Zucht des Geistes, mit
der allein das Erraten so fremder, so zarter Dinge ermöglicht
wird: man wollte jederzeit, mit einer unverschämten Selbstsucht,
nur seinen Vorteil darin, man hat aus dem Gegensatz
zum Evangelium die Kirche aufgebaut ...
Wer nach Zeichen dafür suchte, daß hinter dem großen
Welten-Spiel eine ironische Göttlichkeit die Finger handhabe,
er fände keinen kleinen Anhalt in dem ungeheuren
Fragezeichen, das Christentum heißt. Daß die Menschheit
vor dem Gegensatz dessen auf den Knien liegt, was
der Ursprung, der Sinn, das Recht des Evangeliums
war, daß sie im Begriff "Kirche" gerade Das heilig
gesprochen hat, was der "frohe Botschafter" als unter
sich, als hinter sich empfand - man sucht vergebens nach
einer größeren Form welthistorischer Ironie --
37
- Unser Zeitalter ist stolz auf seinen historischen
Sinn: wie hat es sich den Unsinn glaublich machen können,
daß an dem Anfange des Christentums die grobe
Wuntertäter- und Erlöser-Fabel steht, - und daß
alles Spirituale und Symbolische erst eine spätere Entwicklung
sei? Umgekehrt: die Geschichte des Christenstums - und zwar
vom Tode am Kreuze an - ist die Geschichte
des schrittweise immer gröberen Mißverstehens eines
ursprünglichen Symbolismus. Mit jeder Ausbreitung
des Christentums über noch breitere, noch rohere
Massen, denen die Voraussetzungen immer mehr abgingen,
aus denen es geboren ist, wurde es nötiger, das Christentum
zu vulgarisieren, zu barbarisieren, - es hat
Lehren und Riten aller unterirdischen Kulte des
imperium Romanum, es hat den Unsinn aller Arten kranker
Vernunft in sich eingeschluckt. Das Schicksal des Christentums
liegt in der Notwendigkeit, daß sein Glaube selbst
so krank, so niedrig und vulgär werden mußte, als
die Bedürfnisse krank, niedrig und vulgär waren, die mit
ihm befriedigt werden sollten. Als Kirche summiert
sich endlich die kranke Barbarei selbst zur Macht, -
die Kirche, diese Todfeindschaftsform zu jeder
Rechtschaffenheit, zu jeder Höhe der Seele, zu jeder Zucht
des Geistes, zu jeder freimütigen und gütigen Menschlichkeit. -
Die christlichen - die vornehmen
Werte: erst wir, wir freigewordnen Geister, haben
diesen größten Wert-Gegensatz, den es gibt, wiederhergestellt! --
38
- Ich unterdrücke an dieser Stelle einen Seufzer
nicht. Es gibt Tage, wo mich ein Gefühl heimsucht,
schwärzer als die schwärzeste Meloncholie - die Menschen-Verachtung.
Und damit ich keinen Zweifel
darüber lasse, was ich verachte, wen ich verachte: der
Mensch von heute ist es, der Mensch, mit dem ich verhängnisvoll
gleichzeitig bin. Der Mensch von heute -
ich ersticke an seinem unreinen Atem ... Gegen das Vergangne
bin ich, gleich allen Erkennenden, von einer
großen Toleranz, das heißt großmütigen Selbstbezwingung:
ich gehe durch die Irrenhaus-Welt ganzer
Jahrtausende, heiße sie nun "Christentum", "christlicher
Glaube", "christliche Kirche", mit einer düsteren Vorsicht
hindurch, - ich hüte mich, die Menschheit für ihre
Geisteskrankheiten verantwortlich zu machen. Aber mein
Gefühl schlägt um, bricht heraus, sobald ich in die
neuere Zeit, in unsre Zeit eintrete. Unsre Zeit ist
wissend... Was ehemals bloß krank war, heute ward
es unanständig, - es ist unanständig, heute Christ zu
sein. Und hier beginnt mein Ekel. Ich sehe mich
um: es ist kein Wort von Dem mehr übriggeblieben,
was ehemals "Wahrheit" hieß, wir halten es nicht mehr
aus, wenn ein Priester das Wort "Wahrheit" auch nur
in den Mund nimmt. Selbst bei dem bescheidensten Anspruch
auf Rechtschaffenheit muß man heute wissen,
daß ein Theologe, ein Priester, ein Papst mit jedem Satz,
den er spricht, nicht nur irrt, sondern lügt, - daß es
ihm nicht mehr freisteht, aus "Unschuld", aus "Unwissenheit"
zu lügen. Auch der Priester weiß, so gut
es jedermann weiß, daß es keinen "Gott" mehr gibt,
keine "Sünder", keinen "Erlöser", - daß "freier Wille",
"sittliche Weltordnung" Lügen sind: - der Ernst, die
tiefe Selbstüberwindung des Geistes erlaubt niemandem
mehr, hierüber nicht zu wissen ... Alle Begriffe der
Kirche sind erkannt als Das, was sie sind, als die bösartigste
Falschmünzerei, die es gibt, zum Zweck, die
Natur, die Natur-Werte zu entwerten; der Priester
selbst ist erkannt als Das, was er ist, als die gefährlichste
Art Parasit, als die eigentliche Giftspinne des Lebens ...
Wir wissen, unser Gewissen weiß es heute -, was
überhaupt jene unheimlichen Erfindungen der Priester
und der Kirche wert sind, wozu sie dienten, mit denen
jener Zustand von Selbstschändung der Menschheit erreicht
worden ist, der Ekel vor ihrem Anblick machen
kann - die Begriffe "Jenseits", "Jüngstes Gericht", "Unsterblichkeit
der Seele", die "Seele" selbst: es sind Folter-Instrumente,
es sind Systeme von Grausamkeiten, vermöge
deren der Priester Herr wurde, Herr blieb ...
Jedermann weiß das: und trotzdem bleibt alles beim Alten.
Wohin kam das letzte Gefühl von Anstand,
von Achtung vor sich selbst, wenn unsre Staatsmänner
sogar, eine sonst sehr unbefangene Art Mensch
und Antichristen der Tat durch und durch, sich heute
noch Christen nennen und zum Abendmahl gehn? ... Ein
junger Fürst an der Spitze seiner Regimenter, prachtvoll
als Ausdruck der Selbstsucht und Selbstüberhebung seines
Volks, - aber, ohne jede Scham, sich als Christen bekennend! ...
Wen verneint denn das Christentum? was heißt es
"Welt"? Daß man Soldat, daß man Richter, daß
man Patriot ist; daß man sich wehrt; daß man auf seine
Ehre hält; daß man seinen Vorteil will; daß man stolz
ist... Jede Praktik jedes Augenblicks, jeder Instinkt,
jede zur Tat werdende Wertschätzung ist heute
antichristlich: was für eine Mißgeburt von Falschheit
muß der moderne Mensch sein, daß er sich trotzdem
nicht schämt, Christ noch zu heißen! ---
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- Ich kehre zurück, ich erzähle die echte Geschichte des
Christentums. - Das Wort schon "Christentum"
ist ein Mißverständnis -, Im Grunde gab es nur Einen
Christen, und der starb am Kreuz. Das "Evangelium"
starb am Kreuz. Was von diesem Augenblick an "Evangelium"
heißt, war bereits der Gegensatz dessen, was
er gelebt: eine "schlimme Botschaft", ein Dysangelium.
Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man
in einem "Glauben", etwa im Glauben an die Erlösung
durch Christus das Abzeichen des Christen sieht: bloß
die christliche Praktik, ein Leben so wie Der, der am
Kreuze starb, es lebte, ist christlich ... Heute noch
ist ein solches Leben möglich, für gewisse Menschen
sogar notwendig: das echte, das ursprüngliche Christentum
wird zu allen Zeiten möglich sein ... Nicht ein
Glauben, sondern ein Tun, ein Vieles-nicht-tun vor
allem, ein andres Sein ... Bewußtseins-Zustände, irgend
ein Glauben, ein Für-wahr-halten zum Beispiel - jeder
Psycholog weiß das - sind ja vollkommen gleichgültig
und fünften Ranges gegen den Wert der Instinkte:
strenger geredet, der ganze Begriff geistiger Ursächlichkeit
ist falsch. Das Christ-sein, die Christlichkeit auf ein
Für-wahr-halten, auf eine bloße Bewußtseins-Phänomenalität
reduzieren heißt die Christlichkeit negieren. In der
Tat gab es gar keine Christen. Der "Christ", Das,
was seit zwei Jahrtausenden Christ heißt, ist bloß ein
psychologisches Selbst-Mißverständnis. Genauer zugesehn,
herrschten in ihm, trotz allem "Glauben", bloß
die Instinkte - und was für Instinkte! - Der "Glaube"
war zu allen Zeiten, beispielsweise bei Luther, nur ein
Mantel, ein Vorwand, ein Vorhang, hinter dem die
Instinkte ihr Spiel spielten -, eine kluge Blindheit über
die Herrschaft gewisser Instinkte ... Der "Glaube" -
ich nannte ihn schon die eigentliche christliche Klugheit, -
man sprach immer vom "Glauben", man tat
immer nur vom Instinkte ... In der Vorstellungswelt
des Christen kommt nichts vor, was die Wirklichkeit
auch nur anrührte: dagegen erkannten wir im Instinkt-Haß
gegen jede Wirklichkeit das treibende, das einzig
treibende Element in der Wurzel des Christentums. Was
folgt daraus? Daß auch in psychologicis hier der Irrtum
radikal, das heißt wesen-bestimmend, das heißt
Substanz ist. Ein Begriff hier weg, eine einzige Realität
an dessen Stelle - und das ganze Christentum rollt
ins Nichts! - Aus der Höhe gesehn, bleibt diese fremdartigste
aller Tatsachen, eine durch Irrtümer nicht nur
bedingte, sondern nur in schädlichen, nur in leben-
und herzvergiftenden Irrtümern erfinderische und selbst
geniale Religion ein Schauspiel für Götter, - für
jene Gottheiten, welche zugleich Philosophen sind, und
denen ich zum Beispiel bei jenen berühmten Zwiegesprächen
auf Naxos begegnet bin. Im Augenblick, wo
der Ekel von ihnen weicht (- und von uns!), werden
sie dankbar für das Schauspiel des Christen: das erbärmliche
kleine Gestirn, das Erde heißt, verdient vielleicht
allein um dieses kuriosen Falls willen einen göttlichen
Blick, eine göttliche Anteilnahme ... Unterschätzen wir
nämlich den Christen nicht: der Christ, falsch bis zur
Unschuld, ist weit über dem Affen, - in Hinsicht
auf Christen wird eine bekannte Herkunfts-Theorie zur
bloßen Artigkeit ...
40
- Das Verhängnis des Evangeliums entschied sich mit
dem Tode, - es hing am "Kreuz" ... Erst der Tod,
dieser unerwartete schmähliche Tod, erst das Kreuz, das
im allgemeinen bloß für die Canaille aufgespart blieb, -
erst diese schauerlichste Paradoxie brachte die Jünger
vor das eigentliche Rätsel: "wer was das? was war
das?" - Das erschütterte und im tiefsten beleidigte
Gefühl, der Argwohn, es möchte ein solcher Tod die
Widerlegung ihrer Sache sein, das schreckliche Fragezeichen
"warum gerade so?" - dieser Zustand begreift
sich nur zu gut. Hier mußte alles notwendig sein, Sinn,
Vernunft, höchste Vernunft haben; die Liebe eines
Jüngers kennt keinen Zufall. Erst jetzt trat die Kluft
auseinander: "wer hat ihn getötet? wer war sein natürlicher
Feind?" - diese Frage sprang wie ein Blitz
hervor. Antwort: das herrschende Judentum, sein
oberster Stand. Man empfand sich von diesem Augenblick
in Aufruhr gegen die Ordnung, man verstand
hinterdrein Jesus als im Aufruhr gegen die Ordnung.
Bis dahin fehlte dieser kriegerische, dieser nein-sagende,
nein-tuende Zug in seinem Bilde; mehr noch, er
war dessen Widerspruch. Offenbar hat die kleine Gemeinde
gerade die Hauptsache nicht verstanden, das
Vorbildliche in dieser Art zu sterben, die Freiheit, die
Überlegenheit über jedes Gefühl von ressentiment: -
ein Zeichen dafür, wie wenig überhaupt sie von ihm verstand!
An sich konnte Jesus mit seinem Tode nichts
wollen, als öffentlich die stärkste Probe, den Beweis
seiner Lehre zu geben ... Aber seine Jünger waren ferne
davon, diesen Tod zu verzeihen, - was evangelisch im
höchsten Sinne gewesen wäre; oder gar sich zu einem
gleichen Tode in sanfter und lieblicher Ruhe des Herzens
anzubieten ... Gerade das am meisten unevangelische
Gefühl, die Rache, kam wieder obenauf. Unmöglich
konnte die Sache mit diesem Tode zu Ende sein: man
brauchte "Vergeltung", "Gericht" (- und doch, was kann
noch unevangelischer sein, als "Vergeltung", "Strafe",
"Gericht-halten"!). Noch einmal kam die populäre Erwartung
eines Messias in den Vordergrund; ein historischer
Augenblick wurde ins Auge gefaßt: das "Reich
Gottes" kommt zum Gericht über seine Feinde ... Aber
damit ist alles mißverstanden: das "Reich Gottes" als
Schlußakt, als Verheißung! Das Evangelium war doch
gerade das Dasein, das Erfülltsein, die Wirklichkeit
dieses "Reichs" gewesen. Gerade ein solcher Tod war
eben dieses "Reich Gottes". Jetzt erst trug man die
ganze Verachtung und Bitterkeit gegen Pharisäer und
Theologen in den Typus des Meisters ein, - man machte
damit aus ihm einen Pharisäer und Theologen! Andrerseits
hielt die wildgewordne Verehrung dieser ganz aus den
Fugen geratenen Seelen jene evangelische Gleichberechtigung
von jedermann zum Kind Gottes, die Jesus
gelehrt hatte, nicht mehr aus: ihre Rache war, auf eine
ausschweifende Weise Jesus emporzuheben, von sich
abzulösen: ganz so, wie ehedem die Juden aus Rache an
ihren Feinden ihren Gott von sich losgetrennt und in
die Höhe gehoben haben. Der Eine Gott und der Eine
Sohn Gottes: beides Erzeugnisse des ressentiment ...
41
- Und von nun an tauchte ein absurdes Problem auf:
"wie konnte Gott das zulassen!" Darauf fand die gestörte
Vernunft der kleinen Gemeinschaft eine geradezu
schrecklich absurde Antwort: Gott gab seinen Sohn zur
Vergebung der Sünden, als Opfer. Wie war es mit
einem Male zu Ende mit dem Evangelium! Das Schuldopfer,
und zwar in seiner widerlichsten, barbarischsten
Form, das Opfer des Unschuldigen für die Sünden
der Schuldigen! Welches schauderhafte Heidentum! -
Jesus hatte ja den Begriff "Schuld" selbst abgeschafft, -
er hat jede Kluft zwischen Gott und Mensch geleugnet,
er lebte diese Einheit von Gott und Mensch als seine
"frohe Botschaft" ... Und nicht als Vorrecht! - Von
nun an tritt schrittweise in den Typus des Erlösers hinein:
die Lehre vom Gericht und von der Wiederkunft,
die Lehre vom Tod als einem Opfertode, die Lehre von
der Auferstehung, mit der der ganze Begriff "Seligkeit",
die ganze und einzige Realität des Evangeliums,
eskamotiert ist - zugunsten eines Zustandes nach dem
Tode! ... Paulus hat diese Auffassung, diese Unzucht
von Auffassung mit jener rabbinerhaften Frechheit, die
ihn in allen Stücken auszeichnet, dahin logisiert: "wenn
Christus nicht auferstanden ist von den Toten, so ist
unser Glaube eitel". - Und mit einem Male wurde aus
dem Evangelium die verächtlichste aller unerfüllbaren
Versprechungen, die unverschämte von der
Personal-Unsterblichkeit ... Paulus selbst lehrte sie noch
als Lohn! ...
42
Man sieht, was mit dem Tode am Kreuz zu Ende war:
ein neuer, ein durchaus ursprünglicher Ansatz zu einer
buddhistischen Friedensbewegung, zu einem tatsächlichen,
nicht bloß verheißenen Glück auf Erden. Denn dies
bleibt - ich hob es schon hervor - der Grundunterschied
zwischen den beiden décadence-Religionen: der
Buddhismus verspricht nicht, sondern hält, das Christentum
verspricht alles, aber hält nichts. - Der "frohen
Botschaft" folgt auf dem Fuß die allerschlimmste:
die des Paulus. In Paulus verkörpert sich der Gegensatz-Typus
zum "frohen Botschafter", das Genie im Haß, in
der Vision des Hasses, in der unerbittlichen Logik des
Hasses. Was hat dieser Dysangelist alles dem Hasse
zum Opfer gebracht! Vor allem den Erlöser: er schlug
ihn an sein Kreuz. Das Leben, das Beispiel, die Lehre,
der Tod, der Sinn und das Recht des ganzen Evangeliums
- nichts war mehr vorhanden, als dieser Falschmünzer
aus Haß begriff, was allein er brauchen konnte. Nicht
die Realität, nicht die historische Wahrheit! ... Und
noch einmal verübte der Priester-Instinkt des Juden das
gleiche große Verbrechen an der Historie, - er strich
das Gestern, das Vorgestern des Christentums einfach
durch, er erfand sich eine Geschichte des ersten
Christentums. Mehr noch: er fälschte die Geschichte
Israels nochmals um, um als Vorgeschichte für seine
Tat zu erscheinen: alle Propheten haben von seinem
"Erlöser" geredet ... Die Kirche fälschte später sogar
die Geschichte der Menschheit zur Vorgeschichte des
Christentums ... Der Typus des Erlösers, die Lehre,
die Praktik, der Tod, der Sinn des Todes, selbst das
Nachher des Todes - nichts blieb unangetastet, nichts
blieb auch nur ähnlich der Wirklichkeit. Paulus verlegte
einfach das Schwergewicht jenes ganzen Daseins
hinter dies Dasein, - in die Lüge vom "wiederauferstandenen"
Jesus. Er konnte im Grunde das Leben
des Erlösers überhaupt nicht brauchen, - er hatte den
Tod am Kreuz nötig und etwas mehr noch ... Einen
Paulus, der seine Heimat an dem Hauptsitz der stoischen
Aufklärung hatte, für ehrlich halten, wenn er sich aus
einer Halluzination den Beweis vom Noch-Leben des
Erlösers zurechtmacht, oder auch nur seiner Erzählung,
daß er diese Halluzination gehabt hat, Glauben schenken,
wäre eine wahre niaiserie seitens eines Psychologen:
Paulus wollte den Zweck, folglich wollte er auch die
Mittel ... Was er selbst nicht glaubte, die Idioten, unter
die er seine Lehre warf, glaubten es. - Sein
Bedürfnis war die Macht; mit Paulus wollte nochmals
der Prieser zur Macht, - er konnte nur Begriffe,
Lehren, Symbole brauchen, mit denen man Massen
tyrannisiert, Herden bildet. Was allein entlehnte später
Muhammed dem Christentum? Die Erfindung des Paulus,
sein Mittel zur Priester-Tyrannei, zur Herden-Bildung:
den Unsterblichkeits-Glauben - das heißt die Lehre
vom "Gericht" ...
43
Wenn man das Schwergewicht des Lebens nicht ins
Leben, sondern ins "Jenseits" verlegt - ins Nichts -,
so hat man dem Leben überhaupt das Schwergewicht
genommen. Die große Lüge von der Personal-Unsterblichkeit
zerstört jede Vernunft, jede Natur im Instinkte,
- Alles, was wohltätig, was lebenfördernd, was zukunftverbürgend
in den Instinkten ist, erregt nunmehr
Mißtrauen. So zu leben, daß es keinen Sinn mehr hat,
zu leben, das wird jetzt zum "Sinn" des Lebens ...
Wozu Gemeinsinn, wozu Dankbarkeit noch für Herkunft
und Vorfahren, wozu mitarbeiten, zutrauen, irgend ein Gesamtwohl
fördern und im Auge haben? ... Ebenso
viele "Versuchungen", ebenso viele Ablenkungen vom
"rechten Weg" - "eins ist not" ... Daß jeder als
"unsterbliche Seele" mit jedem gleichen Rang hat, daß
in der Gesamtheit aller Wesen das "Heil" jedes einzelnen
eine ewige Wichtigkeit in Anspruch nehmen darf,
daß kleine Mucker und Dreiviertels-Verrückte sich einbilden
dürfen, daß um ihretwillen die Gesetze der Natur
beständig durchbrochen werden, - eine solche Steigerung
jeder Art Selbstsucht ins Unendliche, ins Unverschämte
kann man nicht mit genug Verachtung brandmarken. Und
doch verdankt das Christentum dieser
erbarmungswürdigen Schmeichelei vor der Personal-Eitelkeit
seinen Sieg, - gerade alles Mißratene, Aufständisch-Gesinnte,
Schlecht-weg-gekommene, den ganzen
Auswurf und Abhub der Menschheit hat es damit zu
sich überredet. Das "Heil der Seele" - auf deutsch:
"die Welt dreht sich um mich" ... Das Gift der Lehre
"gleiche Rechte für alle" - das Christentum hat es
am grundsätzlichsten ausgesät; das Christentum hat
jedem Ehrfurchts- und Distanz-Gefühl zwischen Mensch
und Mensch, das heißt der Voraussetzung zu jeder
Erhöhung, zu jedem Wachstum der Kultur einen Todkrieg
aus den heimlichsten Winkeln schlechter Instinkte gemacht, -
es hat aus dem ressentiment der Massen
sich seine Hauptwaffe geschmiedet gegen uns, gegen
alles Vornehme, Frohe, Hochherzige auf Erden, gegen
unser Glück auf Erden ... Die "Unsterblichkeit" jedem
Petrus und Paulus zugestanden, war bisher das größte,
das bösartigste Attentat auf die vornehme Menschheit.
- Und unterschätzen wir das Verhängnis nicht,
das vom Christentum aus sich bis in die Politik eingeschlichen
hat! Niemand hat heute mehr den Mut zu
Sonderrechten, zu Herrschaftsrechten, zu einem Ehrfurchtsgefühl
vor sich und seinesgleichen, - zu einem
Pathos der Distanz ... Unsre Politik ist krank an
diesem Mangel an Mut! - Der Aristokratismus der
Gesinnung wurde durch die Seelen-Gleichheits-Lüge am
unterirdischsten untergraben; und wenn der Glaube an
das "Vorrecht der meisten" Revolutionen macht und
machen wird, - das Christentum ist es, man zweifle nicht
daran, christliche Werturteile sind es, welche
jede Revolution bloß in Blut und Verbrechen übersetzt!
Das Christentum ist ein Aufstand alles Am-Boden-Kriechenden
gegen Das, was Höhe hat: das Evangelium
der "Niedrigen" macht niedrig ...
44
- Die Evangelien sind unschätzbar als Zeugnis für
die bereits unaufhaltsame Korruption innerhalb der
ersten Gemeinde. Was Paulus später mit dem Logiker-Zynismus
eines Rabbiners zu Ende führte, war trotzdem
bloß der Verfalls-Prozeß, der mit dem Tode des Erlösers
begann. - Diese Evangelien kann man nicht behutsam genug
lesen; sie haben ihre Schwierigkeiten
hinter jedem Wort. Ich bekenne, man wird es mir zugute
halten, daß sie eben damit für einen Psychologen
ein Vergnügen ersten Ranges sind, - als Gegensatz
aller naiven Verderbnis, als das Raffinement par excellence,
als Künstlerschaft in der psychologischen Verderbnis.
Die Evangelien stehn für sich. Die Bibel überhaupt
verträgt keinen Vergleich. Man ist unter Juden:
erster Gesichtspunkt, um hier nicht völlig den Faden
zu verlieren. Die hier geradezu Genie werdende Selbstverstellung
ins "Heilige", unter Büchern und Menschen
nie annähernd sonst erreicht, diese Wort- und Gebärden-Falschmünzerei
als Kunst ist nicht der Zufall irgend
welcher Einzel-Begabung, irgend welcher Ausnahme-Natur.
Hierzu gehört Rasse. Im Christentum, als der
Kunst, heilig zu lügen, kommt das ganze Judentum, eine
mehrhundertjährige jüdische allerernsthafteste Vorübung
und Technik zur letzten Meisterschaft. Der Christ, diese
ultima ratio der Lüge, ist der Jude noch einmal - drei-mal
selbst ... Der grundsätzliche Wille, nur Begriffe,
Symbole, Attitüden anzuwenden, welche aus der Praxis
des Priesters bewiesen sind, die Instinkt-Ablehnung jeder
andren Praxis, jeder andren Art Wert- und
Nützlichkeits-Perspektive - das ist nicht nur Tradition, das ist
Erbschaft: nur als Erbschaft wirkt es wie Natur. Die
ganze Menschheit, die besten Köpfe der besten Zeiten sogar
(Einen ausgenommen, der vielleicht bloß ein Unmensch ist -)
haben sich täuschen lassen. Man hat das
Evangelium als Buch der Unschuld gelesen ... kein
kleiner Fingerzeug dafür, mit welcher Meisterschaft hier
geschauspielert worden ist. - Freilich: bekämen wir sie
zu sehen, auch nur im Vorübergehn, alle diese wunderlichen
Mucker und Kunst-Heiligen, so wäre es am Ende,
- und genau deshalb, weil ich keine Worte lese, ohne
Gebärden zu sehn, mache ich mit ihnen ein Ende ...
Ich halte eine gewisse Art, die Augen aufzuschlagen, an
ihnen nicht aus. - Zum Glück sind Bücher für die
Allermeistern bloß Literatur -- Man muß sich nicht
irreführen lassen: "richtet nicht!" sagen sie, aber sie
schicken alles in die Hölle, was ihnen im Wege steht.
Indem sie Gott richten lassen, richten sie selber; indem
sie Gott verherrlichen, verherrlichen sie sich selber; indem
sie die Tugenden fordern, deren sie gerade fähig
sind - mehr noch, die sie nötig haben, um überhaupt
oben zu bleiben -, geben sie sich den großen Anschein
eines Ringens um die Tugend, eines Kampfes um die
Herrschaft der Tugend. "Wir leben, wir sterben, wir
opfern uns für das Gute" (- "die Wahrheit", "das
Licht", das "Reich Gottes"): in Wahrheit tun sie, was
sie nicht lassen können. Indem sie nach Art von Duckmäusern
sich durchdrücken, im Winkel sitzen, im Schatten
schattenhaft dahinleben, machen sie sich eine Pflicht
daraus: als Pflicht erscheint ihr Leben der Demut, als
Demut ist es ein Beweis mehr für Frömmigkeit ... Ah
diese demütige, keusche, barmherzige Art von Verlogenheit!
"Für uns soll die Tugend selbst Zeugnis ablegen" ...
Man lese die Evangelien als Bücher der Verführung mit
Moral: die Moral wird von diesen kleinen Leuten mit
Beschlag belegt, - sie wissen, was es auf sich hat mit
der Moral! Die Menschheit wird am besten genasführt
mit der Moral! - Die Realität ist, daß hier der bewußteste
Auserwählten-Dünkel die Bescheidenheit spielt:
man hat sich, die "Gemeinde", die "Guten und Gerechten"
ein für allemal auf die Eine Seite gestellt, auf die
"der Wahrheit" - und den Rest, "die Welt", auf die
andre ... Das war die verhängnisvollste Art Größenwahn,
die bisher auf Erden dagewesen ist: kleine Mißgeburten
von Muckern und Lügnern fingen an, die Begriffe
"Gott", "Wahrheit", "Licht", "Geist", "Liebe",
"Weisheit", "Leben" für sich in Anspruch zu nehmen,
gleichsam als Synonyma von sich, um damit die "Welt"
gegen sich abzugrenzen, kleine Superlativ-Juden, reif
für jede Art Irrenhaus, drehten die Werte überhaupt
nach sich um, wie als ob erst "der Christ" der Sinn, das
Salz, das Maß, auch das letzte Gericht vom ganzen
Rest wäre ... Das ganze Verhängnis wurde dadurch
allein ermöglicht, daß schon eine verwandte, rassenverwandte
Art von Größenwahn in der Welt war, der jüdische:
sobald einmal die Kluft zwischen Juden und Judenchristen
sich aufriß, blieb letzteren gar keine Wahl, als
dieselben Prozeduren der Selbsterhaltung, die der
jüdische Instinkt anriet, gegen die Juden selber anzuwenden,
während die Juden sie bisher bloß gegen alles
Nicht-Jüdische angewendet hatten. Der Christ ist nur
ein Jude "freieren" Bekenntnisses. -
Religionskritik
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