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Friedrich Nietzsche

Der Antichrist

Fluch auf das Christentum

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Ich wehre mich, nochmals gesagt, dagegen, daß man den Fanatiker in den Typus des Erlösers einträgt: das Wort impérieux, das Renan gebraucht, annulliert allein schon den Typus. Die "gute Botschaft" ist eben, daß es keine Gegensätze mehr gibt; das Himmelreich gehört den Kindern; der Glaube, der hier laut wird, ist kein erkämpfter Glaube, - er ist da, er ist von Anfang, er ist gleichsam eine ins Geistige zurückgetretene Kindlichkeit. Der Fall der verzögerten und im Organismus unausgebildeten Pubertät, als Folgeerscheinung der Degenereszenz, ist wenigstens den Physiologen vertraut. - Ein solcher Glaube zürnt nicht, tadelt nicht, wehrt sich nicht: er bringt nicht "das Schwert", - er ahnt gar nicht, inwiefern er einmal trennen könnte. Er beweist sich nicht, weder durch Wunder, noch durch Lohn und Verheißung, noch gar "durch die Schrift": er selbst ist jeden Augenblick sein Wunder, sein Lohn, sein Beweis, sein "Reich Gottes". Dieser Glaube formuliert sich auch nicht, - er lebt, er wehrt sich gegen Formeln. Freilich bestimmt der Zufall der Umgebung, der Sprache, der Vorbildung einen gewissen Kreis von Begriffen: das erste Christentum handhabt nur jüdisch-semitische Begriffe (- das Essen und Trinken beim Abendmahl gehört dahin, jener von der Kirche, wie alles Jüdische, so schlimm mißbrauchte Begriff). Aber man hüte sich, darin mehr als eine Zeichenrede, eine Semiotik, eine Gelegenheit zu Gleichnissen zu sehn. Gerade, daß kein Wort wörtlich genommen wird, ist diesem Anti-Realisten die Vorbedingung, um überhaupt reden zu können. Unter Indern würde er sich der Sankhyam-Begriffe, unter Chinesen der des Laotse bedient haben - und keinen Unterschied dabei fühlen. - Man könnte, mit einiger Toleranz im Ausdruck, Jesus einen "freien Geist" nennen - er macht sich aus allem Festen nichts: das Wort tötet, alles, was fest ist, tötet. Der Begriff der Erfahrung "Leben", wie er sie allein kennt, widerstrebt bei ihm jeder Art Wort, Formel, Gesetz, Glaube, Dogma. Er redet bloß vom Innersten: "Leben" oder "Wahrheit" oder "Licht" ist sein Wort für das Innerste, - alles übrige, die ganze Realität, die ganze Natur, die Sprache selbst, hat für ihn bloß den Wert eines Zeichens, eines Gleichnisses. - Man darf sich an dieser Stelle durchaus nicht vergreifen, so groß auch die Verführung ist, welche im christlichen, will sagen kirchlichen Vorurteil liegt: ein solcher Symboliker par excellence steht außerhalb aller Religion, aller Kult-Begriffe, aller Historie, aller Naturwissenschaft, aller Welt-Erfahrung, aller Kenntnisse, aller Politik, aller Psychologie, aller Bücher, aller Kunst, - sein "Wissen" ist eben die reine Torheit darüber, daß es etwas dergleichen gibt. Die Kultur ist ihm nicht einmal von Hörensagen bekannt, er hat keinen Kampf gegen sie nötig, - er verneint sie nicht ... Dasselbe gilt vom Staat, von der ganzen bürgerlichen Ordnung und Gesellschaft, von der Arbeit, vom Kriege, - er hat nie einen Grund gehabt, "die Welt" zu verneinen, er hat den kirchlichen Begriff "Welt" nie geahnt ... Das Verneinen ist eben das ihm ganz Unmögliche -. Insgleichen fehlt die Dialektik, es fehlt die Vorstellung davon, daß ein Glaube, eine "Wahrheit" durch Gründe bewiesen werden könnte (- seine Beweise sind innere "Lichter", innere Lustgefühle und Selbstbejahungen, lauter "Beweise der Kraft" -). Eine solche Lehre kann auch nicht widersprechen: sie begreift gar nicht, daß es andre Lehren gibt, geben kann, sie weiß sich ein gegenteiliges Urteilen gar nicht vorzustellen ... Wo sie es antrifft, wird sie aus innerstem Mitgefühle über "Blindheit" trauern - denn sie sieht das "Licht" -, aber keinen Einwand machen ...

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In der ganzen Psychologie des "Evangeliums" fehlt der Begriff Schuld und Strafe; insgleichen der Begriff Lohn. Die "Sünde", jedwedes Distanz-Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist abgeschafft, - eben das ist die "frohe Botschaft". Die Seligkeit wird nicht verheißen, sie wird nicht an Bedingungen geknüpft: sie ist die einzige Realität - der Rest ist Zeichen, um von ihr zu reden ...
Die Folge eines solchen Zustandes projiziert sich in eine neue Praktik, die eigentlich evangelische Praktik. Nicht ein "Glaube" unterscheidet den Christen: der Christ handelt, er unterscheidet sich durch ein andres Handeln. Daß er Dem, der böse gegen ihn ist, weder durch Wort, noch im Herzen Widerstand leistet. Daß er keinen Unterschied zwischen Fremden und Einheimischen, zwischen Juden und Nicht-Juden macht ("der Nächste" eigentlich der Glaubensgenosse, der Jude). Daß er sich gegen niemanden erzürnt, niemanden geringschätzt. Daß er sich bei Gerichtshöfen weder sehn läßt, noch in Anspruch nehmen läßt ("nicht schwören"). Daß er sich unter keinen Umständen, auch nicht im Falle bewiesener Untreue des Weibes, von seinem Weibe scheidet. - Alles im Grunde Ein Satz, alles Folgen Eines Instinkts. -
Das Leben des Erlösers war nichts andres als diese Praktik, - sein Tod war auch nichts andres ... Er hatte keine Formeln, keinen Ritus für den Verkehr mit Gott mehr nötig, - nicht einmal das Gebet. Er hat mit der ganzen jüdischen Buß- und Versöhnungs-Lehre abgerechnet; er weiß, wie es allein die Praktik des Lebens ist, mit der man sich "göttlich", "selig", "evangelisch", jederzeit ein "Kind Gottes" fühlt. Nicht "Buße", nicht "Gebet um Vergebung" sind Wege zu Gott: die evangelische Praktik allein führt zu Gott, sie eben ist "Gott"! - Was mit dem Evangelium abgetan war, das war das Judentum der Begriffe "Sünde", "Vergebung der Sünde", "Glaube", "Erlösung durch den Glauben", - die ganze jüdische Kirchen-Lehre war in der "frohen Botschaft" verneint.
Der tiefe Instinkt dafür, wie man leben müsse, um sich "im Himmel" zu fühlen, um sich "ewig" zu fühlen, während man sich bei jedem andern Verhalten durchaus nicht "im Himmel" fühlt: dies allein ist die psychologische Realität der "Erlösung". - Ein neuer Wandel, nicht ein neuer Glaube ...

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Wenn ich irgend etwas von diesem großen Symbolisten verstehe, so ist es Das, daß er nur innere Realitäten als Realitäten, als "Wahrheiten" nahm, - daß er den Rest, alles Natürliche, Zeitliche, Räumliche, Historische nur als Zeichen, als Gelegenheit zu Gleichnissen verstand. Der Begriff "des Menschen Sohn" ist nicht eine konkrete Person, die in die Geschichte gehört, irgend etwas Einzelnes, Einmaliges, sondern eine "ewige" Tatsächlichkeit, ein von dem Zeitbegriff erlöstes psychologisches Symbol. Dasselbe gilt noch einmal, und im höchsten Sinne, von dem Gott dieses typischen Symbolisten, vom "Reich Gottes", vom "Himmelreich", von der "Kindschaft Gottes". Nichts ist unchristlicher als die kirchlichen Kruditäten von einem Gott als Person, von einem "Reich Gottes", welches kommt, von einem "Himmelreich" jenseits, von einem "Sohne Gottes", der zweiten Person der Trinität. Dies alles ist - man vergebe mir den Ausdruck - die Faust auf dem Auge - o auf was für einem Auge! - des Evangeliums: ein welthistorischer Zynismus in der Verhöhnung des Symbols ... Aber es liegt ja auf der Hand, was mit dem Zeichen "Vater" und "Sohn" angerührt wird - nicht auf jeder Hand, ich gebe es zu: mit dem Wort "Sohn" ist der Eintritt in das Gesamt-Verklärungs-Gefühl aller Dinge (die Seligkeit) ausgedrückt, mit dem Wort "Vater" dieses Gefühl selbst, das Ewigkeits-, das Vollendungs-Gefühl. - Ich schäme mich daran zu erinnern, was die Kirche aus diesem Symbolismus gemacht hat: hat sie nicht eine Amphitryon-Geschichte an die Schwelle des christlichen "Glaubens" gesetzt? Und ein Dogma von der "unbefleckten Empfängnis" noch obendrein? ... Aber damit hat sie die Empfängnis befleckt --
Das "Himmelreich" ist ein Zustand des Herzens, - nicht etwas, das "über die Erde" oder "nach dem Tode" kommt. Der ganze Begriff des natürlichen Todes fehlt im Evangelium: der Tod ist keine Brücke, kein Übergang, er fehlt, weil einer ganz andern, bloß scheinbaren, bloß zu Zeichen nützlichen Welt zugehörig. Die "Todesstunde" ist kein christlicher Begriff, - die "Stunde", die Zeit, das physische Leben und seine Krisen sind gar nicht vorhanden für den Lehrer der "frohen Botschaft" ...
Das "Reich Gottes" ist nichts, das man erwartet; es hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in "tausend Jahren", - es ist eine Erfahrung an einem Herzen; es ist überall da, es ist nirgends da ...

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Dieser "frohe Botschafter" starb wie er lebte, wie er lehrte - nicht um "die Menschen zu erlösen", sondern um zu zeigen, wie man zu leben hat. Die Praktik ist es, welche er der Menschheit hinterließ: sein Verhalten vor den Richtern, vor den Häschern, vor den Anklägern und aller Art Verleumdung und Hohn, - sein Verhalten am Kreuz. Er widersteht nicht, er verteidigt nicht sein Recht, er tut keinen Schritt, der das Äußerste vom ihm abwehrt, mehr noch, er fordert es heraus ... Und er bittet, er leidet, er liebt mit denen, in denen, die ihm Böses tun ... Die Worte zum Schächer am Kreuz enthalten das ganze Evangelium. "Das ist wahrlich ein göttlicher Mensch gewesen, ein "Kind Gottes" sagt der Schächer. "Wenn du dies fühlst - antwortet der Erlöser - so bist du im Paradiese, so bist auch du ein Kind Gottes ..." Nicht sich wehren, nicht zürnen, nicht verantwortlich-machen ... Sondern auch nicht dem Bösen widerstehn, - ihn lieben ...

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- Erst wir, wir freigewordenen Geister, haben die Voraussetzung dafür, etwas zu verstehn, das neunzehn Jahrhunderte mißverstanden haben, - jene Instinkt und Leidenschaft gewordene Rechtschaffenheit, welche der "heiligen Lüge" noch mehr als jeder andern Lüge den Krieg macht ... Man war unsäglich entfernt von unsrer liebevollen und vorsichtigen Neutralität, von jener Zucht des Geistes, mit der allein das Erraten so fremder, so zarter Dinge ermöglicht wird: man wollte jederzeit, mit einer unverschämten Selbstsucht, nur seinen Vorteil darin, man hat aus dem Gegensatz zum Evangelium die Kirche aufgebaut ...
Wer nach Zeichen dafür suchte, daß hinter dem großen Welten-Spiel eine ironische Göttlichkeit die Finger handhabe, er fände keinen kleinen Anhalt in dem ungeheuren Fragezeichen, das Christentum heißt. Daß die Menschheit vor dem Gegensatz dessen auf den Knien liegt, was der Ursprung, der Sinn, das Recht des Evangeliums war, daß sie im Begriff "Kirche" gerade Das heilig gesprochen hat, was der "frohe Botschafter" als unter sich, als hinter sich empfand - man sucht vergebens nach einer größeren Form welthistorischer Ironie --

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- Unser Zeitalter ist stolz auf seinen historischen Sinn: wie hat es sich den Unsinn glaublich machen können, daß an dem Anfange des Christentums die grobe Wuntertäter- und Erlöser-Fabel steht, - und daß alles Spirituale und Symbolische erst eine spätere Entwicklung sei? Umgekehrt: die Geschichte des Christenstums - und zwar vom Tode am Kreuze an - ist die Geschichte des schrittweise immer gröberen Mißverstehens eines ursprünglichen Symbolismus. Mit jeder Ausbreitung des Christentums über noch breitere, noch rohere Massen, denen die Voraussetzungen immer mehr abgingen, aus denen es geboren ist, wurde es nötiger, das Christentum zu vulgarisieren, zu barbarisieren, - es hat Lehren und Riten aller unterirdischen Kulte des imperium Romanum, es hat den Unsinn aller Arten kranker Vernunft in sich eingeschluckt. Das Schicksal des Christentums liegt in der Notwendigkeit, daß sein Glaube selbst so krank, so niedrig und vulgär werden mußte, als die Bedürfnisse krank, niedrig und vulgär waren, die mit ihm befriedigt werden sollten. Als Kirche summiert sich endlich die kranke Barbarei selbst zur Macht, - die Kirche, diese Todfeindschaftsform zu jeder Rechtschaffenheit, zu jeder Höhe der Seele, zu jeder Zucht des Geistes, zu jeder freimütigen und gütigen Menschlichkeit. - Die christlichen - die vornehmen Werte: erst wir, wir freigewordnen Geister, haben diesen größten Wert-Gegensatz, den es gibt, wiederhergestellt! --

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- Ich unterdrücke an dieser Stelle einen Seufzer nicht. Es gibt Tage, wo mich ein Gefühl heimsucht, schwärzer als die schwärzeste Meloncholie - die Menschen-Verachtung. Und damit ich keinen Zweifel darüber lasse, was ich verachte, wen ich verachte: der Mensch von heute ist es, der Mensch, mit dem ich verhängnisvoll gleichzeitig bin. Der Mensch von heute - ich ersticke an seinem unreinen Atem ... Gegen das Vergangne bin ich, gleich allen Erkennenden, von einer großen Toleranz, das heißt großmütigen Selbstbezwingung: ich gehe durch die Irrenhaus-Welt ganzer Jahrtausende, heiße sie nun "Christentum", "christlicher Glaube", "christliche Kirche", mit einer düsteren Vorsicht hindurch, - ich hüte mich, die Menschheit für ihre Geisteskrankheiten verantwortlich zu machen. Aber mein Gefühl schlägt um, bricht heraus, sobald ich in die neuere Zeit, in unsre Zeit eintrete. Unsre Zeit ist wissend... Was ehemals bloß krank war, heute ward es unanständig, - es ist unanständig, heute Christ zu sein. Und hier beginnt mein Ekel. Ich sehe mich um: es ist kein Wort von Dem mehr übriggeblieben, was ehemals "Wahrheit" hieß, wir halten es nicht mehr aus, wenn ein Priester das Wort "Wahrheit" auch nur in den Mund nimmt. Selbst bei dem bescheidensten Anspruch auf Rechtschaffenheit muß man heute wissen, daß ein Theologe, ein Priester, ein Papst mit jedem Satz, den er spricht, nicht nur irrt, sondern lügt, - daß es ihm nicht mehr freisteht, aus "Unschuld", aus "Unwissenheit" zu lügen. Auch der Priester weiß, so gut es jedermann weiß, daß es keinen "Gott" mehr gibt, keine "Sünder", keinen "Erlöser", - daß "freier Wille", "sittliche Weltordnung" Lügen sind: - der Ernst, die tiefe Selbstüberwindung des Geistes erlaubt niemandem mehr, hierüber nicht zu wissen ... Alle Begriffe der Kirche sind erkannt als Das, was sie sind, als die bösartigste Falschmünzerei, die es gibt, zum Zweck, die Natur, die Natur-Werte zu entwerten; der Priester selbst ist erkannt als Das, was er ist, als die gefährlichste Art Parasit, als die eigentliche Giftspinne des Lebens ... Wir wissen, unser Gewissen weiß es heute -, was überhaupt jene unheimlichen Erfindungen der Priester und der Kirche wert sind, wozu sie dienten, mit denen jener Zustand von Selbstschändung der Menschheit erreicht worden ist, der Ekel vor ihrem Anblick machen kann - die Begriffe "Jenseits", "Jüngstes Gericht", "Unsterblichkeit der Seele", die "Seele" selbst: es sind Folter-Instrumente, es sind Systeme von Grausamkeiten, vermöge deren der Priester Herr wurde, Herr blieb ... Jedermann weiß das: und trotzdem bleibt alles beim Alten. Wohin kam das letzte Gefühl von Anstand, von Achtung vor sich selbst, wenn unsre Staatsmänner sogar, eine sonst sehr unbefangene Art Mensch und Antichristen der Tat durch und durch, sich heute noch Christen nennen und zum Abendmahl gehn? ... Ein junger Fürst an der Spitze seiner Regimenter, prachtvoll als Ausdruck der Selbstsucht und Selbstüberhebung seines Volks, - aber, ohne jede Scham, sich als Christen bekennend! ... Wen verneint denn das Christentum? was heißt es "Welt"? Daß man Soldat, daß man Richter, daß man Patriot ist; daß man sich wehrt; daß man auf seine Ehre hält; daß man seinen Vorteil will; daß man stolz ist... Jede Praktik jedes Augenblicks, jeder Instinkt, jede zur Tat werdende Wertschätzung ist heute antichristlich: was für eine Mißgeburt von Falschheit muß der moderne Mensch sein, daß er sich trotzdem nicht schämt, Christ noch zu heißen! ---

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- Ich kehre zurück, ich erzähle die echte Geschichte des Christentums. - Das Wort schon "Christentum" ist ein Mißverständnis -, Im Grunde gab es nur Einen Christen, und der starb am Kreuz. Das "Evangelium" starb am Kreuz. Was von diesem Augenblick an "Evangelium" heißt, war bereits der Gegensatz dessen, was er gelebt: eine "schlimme Botschaft", ein Dysangelium. Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem "Glauben", etwa im Glauben an die Erlösung durch Christus das Abzeichen des Christen sieht: bloß die christliche Praktik, ein Leben so wie Der, der am Kreuze starb, es lebte, ist christlich ... Heute noch ist ein solches Leben möglich, für gewisse Menschen sogar notwendig: das echte, das ursprüngliche Christentum wird zu allen Zeiten möglich sein ... Nicht ein Glauben, sondern ein Tun, ein Vieles-nicht-tun vor allem, ein andres Sein ... Bewußtseins-Zustände, irgend ein Glauben, ein Für-wahr-halten zum Beispiel - jeder Psycholog weiß das - sind ja vollkommen gleichgültig und fünften Ranges gegen den Wert der Instinkte: strenger geredet, der ganze Begriff geistiger Ursächlichkeit ist falsch. Das Christ-sein, die Christlichkeit auf ein Für-wahr-halten, auf eine bloße Bewußtseins-Phänomenalität reduzieren heißt die Christlichkeit negieren. In der Tat gab es gar keine Christen. Der "Christ", Das, was seit zwei Jahrtausenden Christ heißt, ist bloß ein psychologisches Selbst-Mißverständnis. Genauer zugesehn, herrschten in ihm, trotz allem "Glauben", bloß die Instinkte - und was für Instinkte! - Der "Glaube" war zu allen Zeiten, beispielsweise bei Luther, nur ein Mantel, ein Vorwand, ein Vorhang, hinter dem die Instinkte ihr Spiel spielten -, eine kluge Blindheit über die Herrschaft gewisser Instinkte ... Der "Glaube" - ich nannte ihn schon die eigentliche christliche Klugheit, - man sprach immer vom "Glauben", man tat immer nur vom Instinkte ... In der Vorstellungswelt des Christen kommt nichts vor, was die Wirklichkeit auch nur anrührte: dagegen erkannten wir im Instinkt-Haß gegen jede Wirklichkeit das treibende, das einzig treibende Element in der Wurzel des Christentums. Was folgt daraus? Daß auch in psychologicis hier der Irrtum radikal, das heißt wesen-bestimmend, das heißt Substanz ist. Ein Begriff hier weg, eine einzige Realität an dessen Stelle - und das ganze Christentum rollt ins Nichts! - Aus der Höhe gesehn, bleibt diese fremdartigste aller Tatsachen, eine durch Irrtümer nicht nur bedingte, sondern nur in schädlichen, nur in leben- und herzvergiftenden Irrtümern erfinderische und selbst geniale Religion ein Schauspiel für Götter, - für jene Gottheiten, welche zugleich Philosophen sind, und denen ich zum Beispiel bei jenen berühmten Zwiegesprächen auf Naxos begegnet bin. Im Augenblick, wo der Ekel von ihnen weicht (- und von uns!), werden sie dankbar für das Schauspiel des Christen: das erbärmliche kleine Gestirn, das Erde heißt, verdient vielleicht allein um dieses kuriosen Falls willen einen göttlichen Blick, eine göttliche Anteilnahme ... Unterschätzen wir nämlich den Christen nicht: der Christ, falsch bis zur Unschuld, ist weit über dem Affen, - in Hinsicht auf Christen wird eine bekannte Herkunfts-Theorie zur bloßen Artigkeit ...

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- Das Verhängnis des Evangeliums entschied sich mit dem Tode, - es hing am "Kreuz" ... Erst der Tod, dieser unerwartete schmähliche Tod, erst das Kreuz, das im allgemeinen bloß für die Canaille aufgespart blieb, - erst diese schauerlichste Paradoxie brachte die Jünger vor das eigentliche Rätsel: "wer was das? was war das?" - Das erschütterte und im tiefsten beleidigte Gefühl, der Argwohn, es möchte ein solcher Tod die Widerlegung ihrer Sache sein, das schreckliche Fragezeichen "warum gerade so?" - dieser Zustand begreift sich nur zu gut. Hier mußte alles notwendig sein, Sinn, Vernunft, höchste Vernunft haben; die Liebe eines Jüngers kennt keinen Zufall. Erst jetzt trat die Kluft auseinander: "wer hat ihn getötet? wer war sein natürlicher Feind?" - diese Frage sprang wie ein Blitz hervor. Antwort: das herrschende Judentum, sein oberster Stand. Man empfand sich von diesem Augenblick in Aufruhr gegen die Ordnung, man verstand hinterdrein Jesus als im Aufruhr gegen die Ordnung. Bis dahin fehlte dieser kriegerische, dieser nein-sagende, nein-tuende Zug in seinem Bilde; mehr noch, er war dessen Widerspruch. Offenbar hat die kleine Gemeinde gerade die Hauptsache nicht verstanden, das Vorbildliche in dieser Art zu sterben, die Freiheit, die Überlegenheit über jedes Gefühl von ressentiment: - ein Zeichen dafür, wie wenig überhaupt sie von ihm verstand! An sich konnte Jesus mit seinem Tode nichts wollen, als öffentlich die stärkste Probe, den Beweis seiner Lehre zu geben ... Aber seine Jünger waren ferne davon, diesen Tod zu verzeihen, - was evangelisch im höchsten Sinne gewesen wäre; oder gar sich zu einem gleichen Tode in sanfter und lieblicher Ruhe des Herzens anzubieten ... Gerade das am meisten unevangelische Gefühl, die Rache, kam wieder obenauf. Unmöglich konnte die Sache mit diesem Tode zu Ende sein: man brauchte "Vergeltung", "Gericht" (- und doch, was kann noch unevangelischer sein, als "Vergeltung", "Strafe", "Gericht-halten"!). Noch einmal kam die populäre Erwartung eines Messias in den Vordergrund; ein historischer Augenblick wurde ins Auge gefaßt: das "Reich Gottes" kommt zum Gericht über seine Feinde ... Aber damit ist alles mißverstanden: das "Reich Gottes" als Schlußakt, als Verheißung! Das Evangelium war doch gerade das Dasein, das Erfülltsein, die Wirklichkeit dieses "Reichs" gewesen. Gerade ein solcher Tod war eben dieses "Reich Gottes". Jetzt erst trug man die ganze Verachtung und Bitterkeit gegen Pharisäer und Theologen in den Typus des Meisters ein, - man machte damit aus ihm einen Pharisäer und Theologen! Andrerseits hielt die wildgewordne Verehrung dieser ganz aus den Fugen geratenen Seelen jene evangelische Gleichberechtigung von jedermann zum Kind Gottes, die Jesus gelehrt hatte, nicht mehr aus: ihre Rache war, auf eine ausschweifende Weise Jesus emporzuheben, von sich abzulösen: ganz so, wie ehedem die Juden aus Rache an ihren Feinden ihren Gott von sich losgetrennt und in die Höhe gehoben haben. Der Eine Gott und der Eine Sohn Gottes: beides Erzeugnisse des ressentiment ...

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- Und von nun an tauchte ein absurdes Problem auf: "wie konnte Gott das zulassen!" Darauf fand die gestörte Vernunft der kleinen Gemeinschaft eine geradezu schrecklich absurde Antwort: Gott gab seinen Sohn zur Vergebung der Sünden, als Opfer. Wie war es mit einem Male zu Ende mit dem Evangelium! Das Schuldopfer, und zwar in seiner widerlichsten, barbarischsten Form, das Opfer des Unschuldigen für die Sünden der Schuldigen! Welches schauderhafte Heidentum! - Jesus hatte ja den Begriff "Schuld" selbst abgeschafft, - er hat jede Kluft zwischen Gott und Mensch geleugnet, er lebte diese Einheit von Gott und Mensch als seine "frohe Botschaft" ... Und nicht als Vorrecht! - Von nun an tritt schrittweise in den Typus des Erlösers hinein: die Lehre vom Gericht und von der Wiederkunft, die Lehre vom Tod als einem Opfertode, die Lehre von der Auferstehung, mit der der ganze Begriff "Seligkeit", die ganze und einzige Realität des Evangeliums, eskamotiert ist - zugunsten eines Zustandes nach dem Tode! ... Paulus hat diese Auffassung, diese Unzucht von Auffassung mit jener rabbinerhaften Frechheit, die ihn in allen Stücken auszeichnet, dahin logisiert: "wenn Christus nicht auferstanden ist von den Toten, so ist unser Glaube eitel". - Und mit einem Male wurde aus dem Evangelium die verächtlichste aller unerfüllbaren Versprechungen, die unverschämte von der Personal-Unsterblichkeit ... Paulus selbst lehrte sie noch als Lohn! ...

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Man sieht, was mit dem Tode am Kreuz zu Ende war: ein neuer, ein durchaus ursprünglicher Ansatz zu einer buddhistischen Friedensbewegung, zu einem tatsächlichen, nicht bloß verheißenen Glück auf Erden. Denn dies bleibt - ich hob es schon hervor - der Grundunterschied zwischen den beiden décadence-Religionen: der Buddhismus verspricht nicht, sondern hält, das Christentum verspricht alles, aber hält nichts. - Der "frohen Botschaft" folgt auf dem Fuß die allerschlimmste: die des Paulus. In Paulus verkörpert sich der Gegensatz-Typus zum "frohen Botschafter", das Genie im Haß, in der Vision des Hasses, in der unerbittlichen Logik des Hasses. Was hat dieser Dysangelist alles dem Hasse zum Opfer gebracht! Vor allem den Erlöser: er schlug ihn an sein Kreuz. Das Leben, das Beispiel, die Lehre, der Tod, der Sinn und das Recht des ganzen Evangeliums - nichts war mehr vorhanden, als dieser Falschmünzer aus Haß begriff, was allein er brauchen konnte. Nicht die Realität, nicht die historische Wahrheit! ... Und noch einmal verübte der Priester-Instinkt des Juden das gleiche große Verbrechen an der Historie, - er strich das Gestern, das Vorgestern des Christentums einfach durch, er erfand sich eine Geschichte des ersten Christentums. Mehr noch: er fälschte die Geschichte Israels nochmals um, um als Vorgeschichte für seine Tat zu erscheinen: alle Propheten haben von seinem "Erlöser" geredet ... Die Kirche fälschte später sogar die Geschichte der Menschheit zur Vorgeschichte des Christentums ... Der Typus des Erlösers, die Lehre, die Praktik, der Tod, der Sinn des Todes, selbst das Nachher des Todes - nichts blieb unangetastet, nichts blieb auch nur ähnlich der Wirklichkeit. Paulus verlegte einfach das Schwergewicht jenes ganzen Daseins hinter dies Dasein, - in die Lüge vom "wiederauferstandenen" Jesus. Er konnte im Grunde das Leben des Erlösers überhaupt nicht brauchen, - er hatte den Tod am Kreuz nötig und etwas mehr noch ... Einen Paulus, der seine Heimat an dem Hauptsitz der stoischen Aufklärung hatte, für ehrlich halten, wenn er sich aus einer Halluzination den Beweis vom Noch-Leben des Erlösers zurechtmacht, oder auch nur seiner Erzählung, daß er diese Halluzination gehabt hat, Glauben schenken, wäre eine wahre niaiserie seitens eines Psychologen: Paulus wollte den Zweck, folglich wollte er auch die Mittel ... Was er selbst nicht glaubte, die Idioten, unter die er seine Lehre warf, glaubten es. - Sein Bedürfnis war die Macht; mit Paulus wollte nochmals der Prieser zur Macht, - er konnte nur Begriffe, Lehren, Symbole brauchen, mit denen man Massen tyrannisiert, Herden bildet. Was allein entlehnte später Muhammed dem Christentum? Die Erfindung des Paulus, sein Mittel zur Priester-Tyrannei, zur Herden-Bildung: den Unsterblichkeits-Glauben - das heißt die Lehre vom "Gericht" ...

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Wenn man das Schwergewicht des Lebens nicht ins Leben, sondern ins "Jenseits" verlegt - ins Nichts -, so hat man dem Leben überhaupt das Schwergewicht genommen. Die große Lüge von der Personal-Unsterblichkeit zerstört jede Vernunft, jede Natur im Instinkte, - Alles, was wohltätig, was lebenfördernd, was zukunftverbürgend in den Instinkten ist, erregt nunmehr Mißtrauen. So zu leben, daß es keinen Sinn mehr hat, zu leben, das wird jetzt zum "Sinn" des Lebens ... Wozu Gemeinsinn, wozu Dankbarkeit noch für Herkunft und Vorfahren, wozu mitarbeiten, zutrauen, irgend ein Gesamtwohl fördern und im Auge haben? ... Ebenso viele "Versuchungen", ebenso viele Ablenkungen vom "rechten Weg" - "eins ist not" ... Daß jeder als "unsterbliche Seele" mit jedem gleichen Rang hat, daß in der Gesamtheit aller Wesen das "Heil" jedes einzelnen eine ewige Wichtigkeit in Anspruch nehmen darf, daß kleine Mucker und Dreiviertels-Verrückte sich einbilden dürfen, daß um ihretwillen die Gesetze der Natur beständig durchbrochen werden, - eine solche Steigerung jeder Art Selbstsucht ins Unendliche, ins Unverschämte kann man nicht mit genug Verachtung brandmarken. Und doch verdankt das Christentum dieser erbarmungswürdigen Schmeichelei vor der Personal-Eitelkeit seinen Sieg, - gerade alles Mißratene, Aufständisch-Gesinnte, Schlecht-weg-gekommene, den ganzen Auswurf und Abhub der Menschheit hat es damit zu sich überredet. Das "Heil der Seele" - auf deutsch: "die Welt dreht sich um mich" ... Das Gift der Lehre "gleiche Rechte für alle" - das Christentum hat es am grundsätzlichsten ausgesät; das Christentum hat jedem Ehrfurchts- und Distanz-Gefühl zwischen Mensch und Mensch, das heißt der Voraussetzung zu jeder Erhöhung, zu jedem Wachstum der Kultur einen Todkrieg aus den heimlichsten Winkeln schlechter Instinkte gemacht, - es hat aus dem ressentiment der Massen sich seine Hauptwaffe geschmiedet gegen uns, gegen alles Vornehme, Frohe, Hochherzige auf Erden, gegen unser Glück auf Erden ... Die "Unsterblichkeit" jedem Petrus und Paulus zugestanden, war bisher das größte, das bösartigste Attentat auf die vornehme Menschheit. - Und unterschätzen wir das Verhängnis nicht, das vom Christentum aus sich bis in die Politik eingeschlichen hat! Niemand hat heute mehr den Mut zu Sonderrechten, zu Herrschaftsrechten, zu einem Ehrfurchtsgefühl vor sich und seinesgleichen, - zu einem Pathos der Distanz ... Unsre Politik ist krank an diesem Mangel an Mut! - Der Aristokratismus der Gesinnung wurde durch die Seelen-Gleichheits-Lüge am unterirdischsten untergraben; und wenn der Glaube an das "Vorrecht der meisten" Revolutionen macht und machen wird, - das Christentum ist es, man zweifle nicht daran, christliche Werturteile sind es, welche jede Revolution bloß in Blut und Verbrechen übersetzt! Das Christentum ist ein Aufstand alles Am-Boden-Kriechenden gegen Das, was Höhe hat: das Evangelium der "Niedrigen" macht niedrig ...

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- Die Evangelien sind unschätzbar als Zeugnis für die bereits unaufhaltsame Korruption innerhalb der ersten Gemeinde. Was Paulus später mit dem Logiker-Zynismus eines Rabbiners zu Ende führte, war trotzdem bloß der Verfalls-Prozeß, der mit dem Tode des Erlösers begann. - Diese Evangelien kann man nicht behutsam genug lesen; sie haben ihre Schwierigkeiten hinter jedem Wort. Ich bekenne, man wird es mir zugute halten, daß sie eben damit für einen Psychologen ein Vergnügen ersten Ranges sind, - als Gegensatz aller naiven Verderbnis, als das Raffinement par excellence, als Künstlerschaft in der psychologischen Verderbnis. Die Evangelien stehn für sich. Die Bibel überhaupt verträgt keinen Vergleich. Man ist unter Juden: erster Gesichtspunkt, um hier nicht völlig den Faden zu verlieren. Die hier geradezu Genie werdende Selbstverstellung ins "Heilige", unter Büchern und Menschen nie annähernd sonst erreicht, diese Wort- und Gebärden-Falschmünzerei als Kunst ist nicht der Zufall irgend welcher Einzel-Begabung, irgend welcher Ausnahme-Natur. Hierzu gehört Rasse. Im Christentum, als der Kunst, heilig zu lügen, kommt das ganze Judentum, eine mehrhundertjährige jüdische allerernsthafteste Vorübung und Technik zur letzten Meisterschaft. Der Christ, diese ultima ratio der Lüge, ist der Jude noch einmal - drei-mal selbst ... Der grundsätzliche Wille, nur Begriffe, Symbole, Attitüden anzuwenden, welche aus der Praxis des Priesters bewiesen sind, die Instinkt-Ablehnung jeder andren Praxis, jeder andren Art Wert- und Nützlichkeits-Perspektive - das ist nicht nur Tradition, das ist Erbschaft: nur als Erbschaft wirkt es wie Natur. Die ganze Menschheit, die besten Köpfe der besten Zeiten sogar (Einen ausgenommen, der vielleicht bloß ein Unmensch ist -) haben sich täuschen lassen. Man hat das Evangelium als Buch der Unschuld gelesen ... kein kleiner Fingerzeug dafür, mit welcher Meisterschaft hier geschauspielert worden ist. - Freilich: bekämen wir sie zu sehen, auch nur im Vorübergehn, alle diese wunderlichen Mucker und Kunst-Heiligen, so wäre es am Ende, - und genau deshalb, weil ich keine Worte lese, ohne Gebärden zu sehn, mache ich mit ihnen ein Ende ... Ich halte eine gewisse Art, die Augen aufzuschlagen, an ihnen nicht aus. - Zum Glück sind Bücher für die Allermeistern bloß Literatur -- Man muß sich nicht irreführen lassen: "richtet nicht!" sagen sie, aber sie schicken alles in die Hölle, was ihnen im Wege steht. Indem sie Gott richten lassen, richten sie selber; indem sie Gott verherrlichen, verherrlichen sie sich selber; indem sie die Tugenden fordern, deren sie gerade fähig sind - mehr noch, die sie nötig haben, um überhaupt oben zu bleiben -, geben sie sich den großen Anschein eines Ringens um die Tugend, eines Kampfes um die Herrschaft der Tugend. "Wir leben, wir sterben, wir opfern uns für das Gute" (- "die Wahrheit", "das Licht", das "Reich Gottes"): in Wahrheit tun sie, was sie nicht lassen können. Indem sie nach Art von Duckmäusern sich durchdrücken, im Winkel sitzen, im Schatten schattenhaft dahinleben, machen sie sich eine Pflicht daraus: als Pflicht erscheint ihr Leben der Demut, als Demut ist es ein Beweis mehr für Frömmigkeit ... Ah diese demütige, keusche, barmherzige Art von Verlogenheit! "Für uns soll die Tugend selbst Zeugnis ablegen" ... Man lese die Evangelien als Bücher der Verführung mit Moral: die Moral wird von diesen kleinen Leuten mit Beschlag belegt, - sie wissen, was es auf sich hat mit der Moral! Die Menschheit wird am besten genasführt mit der Moral! - Die Realität ist, daß hier der bewußteste Auserwählten-Dünkel die Bescheidenheit spielt: man hat sich, die "Gemeinde", die "Guten und Gerechten" ein für allemal auf die Eine Seite gestellt, auf die "der Wahrheit" - und den Rest, "die Welt", auf die andre ... Das war die verhängnisvollste Art Größenwahn, die bisher auf Erden dagewesen ist: kleine Mißgeburten von Muckern und Lügnern fingen an, die Begriffe "Gott", "Wahrheit", "Licht", "Geist", "Liebe", "Weisheit", "Leben" für sich in Anspruch zu nehmen, gleichsam als Synonyma von sich, um damit die "Welt" gegen sich abzugrenzen, kleine Superlativ-Juden, reif für jede Art Irrenhaus, drehten die Werte überhaupt nach sich um, wie als ob erst "der Christ" der Sinn, das Salz, das Maß, auch das letzte Gericht vom ganzen Rest wäre ... Das ganze Verhängnis wurde dadurch allein ermöglicht, daß schon eine verwandte, rassenverwandte Art von Größenwahn in der Welt war, der jüdische: sobald einmal die Kluft zwischen Juden und Judenchristen sich aufriß, blieb letzteren gar keine Wahl, als dieselben Prozeduren der Selbsterhaltung, die der jüdische Instinkt anriet, gegen die Juden selber anzuwenden, während die Juden sie bisher bloß gegen alles Nicht-Jüdische angewendet hatten. Der Christ ist nur ein Jude "freieren" Bekenntnisses. -

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