Religionskritik
Texte
Links
Literatur
Schopenhauer (Inhalt)
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Arthur Schopenhauer
Parerga und Paralipomena II
KAPITEL XV.
UEBER RELIGION.
§. 180.
Sekten.
Der AUGUSTINISMUS, mit seinem Dogma von der Erbsünde und
was sich daran knüpft, ist, wie schon gesagt, das eigentliche und
wohlverstandene Christenthum. Der PELAGIANISMUS hingegen ist
das Bemühen, das Christenthum zum plumpen und platten Judenthum
und seinem Optimismus zurückzubringen.
Den die Kirche beständig theilenden Gegensatz zwischen Augustinismus
und Pelagianismus könnte man, als auf seinen letzten
Grund, darauf zurückführen, daß Ersterer vom Wesen an sich der
Dinge, Letzterer hingegen von der Erscheinung redet, die er
jedoch für das Wesen nimmt. Z.B. der Pelagianer leugnet die Erbsünde;
da das Kind, welches noch gar nichts gethan hat, unschuldig
seyn müsse; - weil er nicht einsieht, daß zwar als Erscheinung
das Kind erst anfängt zu seyn, nicht aber als Ding an sich. Eben so
steht es mit der Freiheit des Willens, dem Versöhnungstode des
Heilands, der Gnade, kurz mit Allem. - In Folge seiner Begreiflichkeit
und Plattheit herrscht der Pelagianismus immer vor: mehr als
je aber jetzt, als Rationalismus. Gemildert pelagianisch ist die Griechische
Kirche, und seit dem Concilio Tridentino ebenfalls die katholische,
die sich dadurch in Gegensatz zum Augustinisch und daher
mystisch gesinnten Luther, wie auch Kalvin, hat stellen wollen:
nicht weniger sind die Jesuiten semipelagianisch. Hingegen sind
die Jansenisten augustinisch und ihre Auffassung möchte wohl die
ächteste Form des Christenthums seyn. Denn der Protestantismus
ist dadurch, daß er das Cölibat und überhaupt die eigentliche
Askese, wie auch deren Repräsentanten, die Heiligen, verwarf, zu
einem abgestumpften, oder vielmehr abgebrochenen Christenthum
geworden, als welchem die Spitze fehlt: es läuft in nichts aus.
§. 181.
Rationalismus.
Der Mittelpunkt und das Herz des Christenthums ist die Lehre vom
Sündenfall, von der Erbsünde, von der Heillosigkeit unsers natürlichen
Zustandes und der Verderbtheit des natürlichen Menschen,
verbunden mit der Vertretung und Versöhnung durch den Erlöser,
deren man theilhaft wird durch den Glauben an ihn. Dadurch nun
aber zeigt dasselbe sich als Pessimismus, ist also dem Optimismus
des Judenthums, wie auch des ächten Kindes desselben, des Islams,
gerade entgegengesetzt, hingegen dem Brahmanismus und Buddhaismus
verwandt. - Dadurch, daß im Adam Alle gesündigt haben
und verdammt sind, im Heiland hingegen Alle erlöst werden, ist
auch ausgedrückt, daß das eigentliche Wesen und die wahre Wurzel
des Menschen nicht im Individuo liegt, sondern in der Species,
welche die (platonische) IDEE des Menschen ist, deren auseinandergezogene
Erscheinung in der Zeit die Individuen sind.
Der Grundunterschied der Religionen liegt darin, ob sie Optimismus
oder Pessimismus sind; keineswegs darin, ob Monotheismus,
Polytheismus, Trimurti, Dreieinigkeit, Pantheismus, oder
Atheismus (wie der Buddhaismus). Dieserwegen sind A.T. und
N.T. einander diametral entgegengesetzt und ihre Vereinigung bildet
einen wunderlichen Kentauren. Das A.T. nämlich ist Optimismus,
das N.T. Pessimismus. Jenes stammt erwiesenermaaßen von
der Ormuzdlehre; dieses ist, seinem innern Geiste nach, dem
Brahmanismus und Buddhaismus verwandt, also wahrscheinlich
auch historisch irgendwie aus ihnen abzuleiten. Jenes ist eine
Musik in Dur, dieses in Moll. Bloß der Sündenfall macht im A.T.
eine Ausnahme, bleibt aber unbenutzt, steht da wie ein hors
d'uvre, bis das Christenthum ihn, als seinen allein passenden
Anknüpfungspunkt, wieder aufnimmt.
Allein jenen oben angegebenen Grundcharakter des Christenthums,
welchen Augustinus, Luther und Melanchthon sehr richtig
aufgefaßt und möglichst systematisirt hatten, suchen unsere heutige
Rationalisten, in die Fußstapfen des Pelagius tretend, nach
Kräften zu verwischen und hinauszuexegesiren, um das Christenthum
zurückzuführen auf ein nüchternes, egoistisches, optimistisches
Judenthum, mit Hinzufügung einer bessern Moral und eines
künftigen Lebens, als welches der konsequent durchgeführte Optimismus
verlangt, damit nämlich die Herrlichkeit nicht so schnell
ein Ende nehme und der Tod, der gar zu laut gegen die optimistische
Ansicht schreit und wie der steinerne Gast am Ende zum fröhlichen
D.Juan eintritt, abgefertigt werde. - Diese Rationalisten
sind ehrliche Leute, jedoch platte Gesellen, die vom tiefen Sinne
des neutestamentlichen Mythos keine Ahndung haben und nicht
über den jüdischen Optimismus hinaus können, als welcher ihnen
faßlich ist und zusagt. Wie weit diese Leute von aller Erkenntniß,
ja, aller Ahndung des Sinnes und Geistes des Christenthums entfernt,
zeigt z.B. ihr großer Apostel WEGSCHEIDER, in seiner
naiven Dogmatik, wo er, (§.115 nebst Anmerkungen) den tiefen
Aussprüchen Augustins und der Reformatoren über die Erbsünde
und die wesentliche Verderbtheit des natürlichen Menschen das
fade Geschwätze des CICERO in den Büchern de officiis entgegenzustellen
sich nicht entblödet, da solches ihm viel besser zusagt. Man
muß wirklich sich über die Unbefangenheit wundern, mit der dieser
Mann seine Nüchternheit, Flachheit, ja gänzlichen Mangel an
Sinn für den Geist des Christenthums zur Schau trägt. Aber er ist
nur unus e multis. Hat doch BRETTSCHNEIDER die Erbsünde aus der
Bibel hinausexegisirt; während Erbsünde und Erlösung die Essenz
des Christenthums ausmachen. - Andrerseits ist nicht zu leugnen,
daß die Supranaturalisten bisweilen etwas viel Schlimmeres, nämlich
Pfaffen, im ärgsten Sinne des Wortes, sind. Da mag nun das
Christenthum sehn, wie es zwischen Skylla und Charybdis durchkomme.
Der gemeinsame Irrthum beider Parteien ist, daß sie in
der Religion die unverschleierte, trockne, buchstäbliche Wahrheit
suchen. Diese aber wird allein in der Philosophie angestrebt: die
Religion hat nur eine Wahrheit, wie sie dem Volke angemessen ist,
eine indirekte, eine symbolische, allegorische Wahrheit. Das Christenthum
ist eine Allegorie, die einen wahren Gedanken abbildet;
aber nicht ist die Allegorie an sich selbst das Wahre. Dies dennoch
anzunehmen ist der Irrthum, darin Supranaturalisten und Rationalisten
übereinstimmen. Jene wollen die Allegorie als an sich wahr
behaupten; Diese sie umdeuteln und modeln; bis sie, so nach ihrem
Maaßstabe, an sich wahr seyn könne. Danach streitet denn jede
Partei mit treffenden und starken Gründen gegen die andere. Die
Rationalisten sagen zu den Supranaturalisten: "eure Lehre ist nicht
wahr". Diese hingegen zu Jenen: "eure Lehre ist kein Christenthum".
Beide haben Recht. Die Rationalisten glauben die Vernunft
zum Maaßstabe zu nehmen: in der That aber nehmen sie dazu nur
die in den Voraussetzungen des Theismus und Optimismus befangene
Vernunft, so etwas wie Rousseau's profession de foi du vicaire savoyard,
diesen Prototyp alles Rationalismus. Vom Christlichen
Dogma wollen sie daher nichts bestehn lassen, als eben was sie für
sensu proprio wahr halten: nämlich den Theismus und die unsterbliche
Seele. Wenn sie aber dabei, mit der Dreistigkeit der Unwissenheit,
an die REINE VERNUNFT appelliren; so muß man sie mit der
KRITIK derselben bedienen, um sie zu der Einsicht zu nöthigen,
daß diese ihre, als vernunftgemäß zur Beibehaltung ausgewählten
Dogmen sich bloß auf einer transscendenten Anwendung immanenter
Principien basiren und demnach nur einen unkritischen,
folglich unhaltbaren philosophischen Dogmatismus ausmachen,
wie ihn die Kritik der reinen Vernunft auf jeder Seite bekämpft und
als ganz eitel nachweist; daher eben schon ihr Name ihren Antagonismus
gegen den Rationalismus ankündigt. Während demnach
der Supranaturalismus doch allegorische Wahrheit hat; kann man
dem Rationalismus gar keine zuerkennen. Die Rationalisten haben
geradezu Unrecht. Wer ein Rationalist seyn will, muß ein Philosoph
seyn und als solcher sich von aller Auktorität emancipiren,
vorwärts gehn und vor nichts zurückbeben. Will man aber ein
Theolog seyn; so sei man konsequent und verlasse nicht das Fundament
der Auktorität, auch nicht wenn sie das Unbegreifliche zu
glauben gebietet. Man kann nicht zweien Herren dienen: also entweder
der Vernunft oder der Schrift. Juste milieu heißt hier, sich
zwischen zwei Stühlen niederlassen. Entweder glauben, oder philosophiren!
was man erwählt, sei man ganz. Aber glauben, bis auf
einen gewissen Punkt und nicht weiter, und eben so philosophiren,
bis auf einen gewissen Punkt und nicht weiter, - Dies ist die Halbheit,
welche den Grundcharakter des Rationalismus ausmacht.
Hingegen sind die Rationalisten moralisch gerechtfertigt, sofern
sie ganz ehrlich zu Werke gehn und nur sich selbst täuschen; während
die Supranaturalisten mit ihrer Vindicirung der Wahrheit
sensu proprio für eine bloße Allegorie denn doch wohl meistens
absichtlich Andere zu täuschen suchen. Dennoch wird, bei dem
Streben Dieser, die in der Allegorie enthaltene Wahrheit gerettet;
während hingegen die Rationalisten, in ihrer nordischen Nüchternheit
und Plattheit, diese und mit ihr die ganze Essenz des Christenthums,
zum Fenster hinauswerfen, ja, Schritt vor Schritt, am
Ende dahin kommen, wohin, vor 80 Jahren, Voltaire im Fluge
gelangt war. Oft ist es belustigend zu sehn, wie sie, bei Feststellung
der Eigenschaften Gottes (der Quidditas desselben), wo sie doch
mit dem bloßen Wort und Schiboleth "Gott" nicht mehr ausreichen,
sorgfältig zielen, den juste milieu zu treffen, zwischen einem
Menschen und einer Naturkraft; was denn freilich schwer hält.
Inzwischen reiben, in jenem Kampfe der Rationalisten und Supranaturalisten
beide Parteien einander auf, wie die geharnischten Männer aus des Kadmus
Saat der Drachenzähne. Dazu giebt noch
der von einer gewissen Seite her thätige Tartüffianismus der Sache
den Todesstoß. Nämlich, wie man, im Karneval italiänischer Städte,
zwischen den Leuten, die nüchtern und ernst ihren Geschäften
nachgehn, tolle Masken herumlaufen sieht; so sehn wir heut zu
Tage in Deutschland zwischen den Philosophen, Naturforschern,
Historikern, Kritikern und Rationalisten, Tartüffes herumschwärmen,
im Gewande einer schon Jahrhunderte zurückliegenden Zeit, und der Effekt
ist burlesk, besonders wenn sie harangiren.
Die, welche wähnen, daß die Wissenschaften immer weiter fortschreiten
und immer mehr sich verbreiten können, ohne daß Dies
die Religion hindere, immerfort zu bestehn und zu floriren, - sind
in einem großen Irrthum befangen. Religionen sind Kinder der
Unwissenheit, die ihre Mutter nicht lange überleben. Omar,
Omar hat es verstanden, als er die Alexandrinische Bibliothek verbrannte:
sein Grund dazu, daß der Inhalt der Bücher entweder im
Koran enthalten, oder aber überflüssig wäre, gilt für albern, ist aber
sehr gescheut, wenn nur cum grano salis verstanden, wo er alsdann
besagt, daß die Wissenschaften, wenn sie über den Koran hinausgehn,
Feinde der Religionen und daher nicht zu dulden seien. Es
stände viel besser um das Christenthum, wenn die Christlichen
Herrscher so klug gewesen wären, wie Omar. Jetzt aber ist es
etwas spät, alle Bücher zu verbrennen, die Akademien aufzuheben,
den Universitäten das pro ratione voluntas durch Mark und Bein dringen
zu lassen, - um die Menschheit dahin zurückzuführen, wo sie
im Mittelalter stand. Und mit einer Handvoll Obskuranten ist da
nichts auszurichten: man sieht diese heut zu Tage an, wie Leute, die
das Licht auslöschen wollen, um zu stehlen. So ist es denn augenscheinlich,
daß nachgerade die Völker schon damit umgehn, das
Joch des Glaubens abzuschütteln: die Symptome davon zeigen sich
überall, wiewohl in jedem Lande anders modifizirt. Die Ursache
ist das zu viele Wissen, welches unter sie gekommen ist. Denn
Glauben und Wissen vertragen sich nicht wohl im selben Kopfe: sie
sind darin wie Wolf und Schaaf in Einem Käfig; und zwar ist das
Wissen der Wolf, der den Nachbar aufzufressen droht. - In ihren
Todesnöthen sieht man die Religion sich an die Moral anklammern,
für deren Mutter sie sich ausgeben möchte: - aber mit Nichten!
Aechte Moral und Moralität ist von keiner Religion abhängig;
wiewohl jede sie sanktionirt und ihr dadurch eine Stütze gewährt.
- Zuerst nun aus den mittleren Ständen vertrieben flüchtet das
Christenthum sich in die niedrigsten, wo es als Konventikelwesen
auftritt, und in die höchsten, wo es Sache der Politik ist, man aber
wohl bedenken sollte, daß auch hierauf Göthe's Wort Anwendung findet:
"So fühlt man Absicht und man ist verstimmt."
Dem Leser wird hier §.174 angeführte Stelle des Condorcet wieder
beifallen.
Der Glaube ist wie die Liebe: er läßt sich nicht erzwingen. Daher
ist es ein mißliches Unternehmen, ihn durch Staatsmaaßregeln einführen,
oder befestigen zu wollen: denn, wie der Versuch, Liebe zu
erzwingen, Haß erzeugt; so der, Glauben zu erzwingen, erst rechten
Unglauben. Nur ganz mittelbar und folglich durch lange zum
voraus getroffene Anstalten kann man den Glauben befördern,
indem man nämlich ihm ein gutes Erdreich, darauf er gedeiht, vorbereitet:
ein solches ist die Unwissenheit. Für diese hat man daher
in England, schon seit alten Zeiten und bis auf die unsrige, Sorge
getragen, so daß 2/3 der Nation nicht lesen können; daher denn auch
noch heut zu Tage daselbst ein Köhlerglauben herrscht, wie man
ihn außerdem vergeblich suchen würde. Nunmehr aber nimmt
auch dort die Regierung den Volksunterricht dem Klerus aus den
Händen; wonach es mit dem Glauben bald bergab gehn wird. - Im
Ganzen also geht das Christenthum seinem Ende allmälig entgegen.
Inzwischen ließe sich für dasselbe Hoffnung schöpfen aus
der Betrachtung, daß nur solche Religionen untergehn, die keine
Urkunden haben. Die Religion der Griechen und Römer, dieser
weltbeherrschenden Völker, ist untergegangen. Hingegen hat die
Religion des verachteten Judenvölkchens sich erhalten: eben so die
des Zendvolks, bei den Gebern. Hingegen ist die der Gallier, Skandinaven
und Germanen untergegangen. Die brahmanische und
buddhaistische aber bestehn und floriren: sie sind die ältesten von
allen und haben ausführliche Urkunden.
§. 182.
In frühern Jahrhunderten war die Religion ein Wald, hinter welchem
Heere halten und sich decken konnten. Aber nach so vielen
Fällungen ist sie nur noch ein Buschwerk, hinter welchem gelegentlich
Gauner sich verstecken. Man hat dieserhalb sich vor Denen zu
hüten, die sie in Alles hineinziehn möchten, und begegne ihnen mit
dem oben angezogenen Sprichwort: detras de la cruz està el diablo.
Religionskritik
Texte
Links
Literatur
Schopenhauer (Inhalt)
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4