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Goethe zur Religion


Prometheus
Zahme Xenien IX.
Invektiven: Auf Lavaters 'Lied eines Christen an Christus'
Venezianische Epigramme - neu
West-östlicher Divan, Aus dem Nachlaß
Das folgende Gedicht hat eigentlich nichts mit dem Christentum zu tun. Wenn ich mich nicht irre, schrieb Goethe es im Jahre 1774, also als er erst 25 war. Da angenommen wurde, daß es vielleicht wegen dem gotteslästerndem Inhalt Probleme mit der Zensur geben könnte, war in einem Gedichtband die betreffende Seite nur beigelegt, damit sie im Falle von Schwierigkeiten einfach herausgenommen werden könnte und nicht die ganze Auflage eingestampft werden müßte (Der Gedichtband ist im Goethehaus in Weimar zu bewundern).

Goethe, Prometheus

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn:
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein,
Kehrt ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blütenträume reiften?

Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei:
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!


Goethe, Zahme Xenien IX. (Anfang):
"Sag, was enthält die Kirchengeschichte?
Sie wird mir in Gedanken zunichte:
Es gibt unendlich viel zu lesen -
Was ist denn aber das alles gewesen?"

Zwei Gegner sind es, die sich boxen,
Die Arianer und Orthodoxen.
Durch viele Säkla dasselbe geschicht,
Es dauert bis an das jüngste Gericht.

Der Vater ewig in Ruhe bleibt,
Er hat der Welt sich einverleibt.

Der Sohn hat Großes unternommen:
Die Welt zu erlösen, ist angekommen;
Hat gut gelehrt und viel ertragen,
Wie das noch heut in unsern Tagen.

Nun aber kommt der Heilig Geist,
Er wirkt am Pfingsten allermeist.
Woher er kommt, wohin er weht,
Das hat noch niemand ausgespäht.
Sie geben ihm nur eine kurze Frist,
Da er doch Erst- und Letzter ist.

Deswegen wir treulich, unverstohlen
Das alte Credo wiederholen:
Anbetend sind wir all bereit
Die ewige Dreifaltigkeit.

*

Mit Kirchengeschichte was hab ich zu schaffen?
Ich sehe weiter nichts als Pfaffen;
Wie's um die Christen steht, die Gemeinen,
Davon will mir gar nichts erscheinen.

*

Ich hätt auch können Gemeinde sagen,
Ebensowenig wäre zu erfragen.

*

Glaubt nicht, daß ich fasele, daß ich dichte;
Seht hin und findet mir andre Gestalt!
Es ist die ganze Kirchengeschichte
Mischmasch von Irrtum und Gewalt.

*

Ihr Gläubigen, rühmt nur nicht euren Glauben
Als einzigen! wir glauben auch wie ihr.
Der Forscher läßt sich keineswegs berauben
Des Erbteils, aller Welt gegönnt - und mir.

*

Ein Sadduzäer will ich bleiben! -
Das könnte mich zur Verzweiflung treiben,
Wenn von dem Volk, das hier mich bedrängt,
Auch würde die Ewigkeit eingeengt;
Das wäre doch nur der alte Patsch,
Droben gäbs nur verklärten Klatsch.
"Sei nicht so heftig, sei nicht so dumm!
Da drüben bildet sich alles um."

*

Ich habe nichts gegen die Frömmigkeit,
Sie ist zugleich Bequemlichkeit;
Wer ohne Frömmigkeit will leben,
Muß großer Mühe sich ergeben:
Auf seine eigne Hand zu wandern,
Sich selbst genügen und den andern
Und freilich auch dabei vertraun,
Gott werde wohl auf ihn niederschaun.

*

Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,
Hat auch Religion;
Wer jene beiden nicht besitzt,
Der habe Religion.

*

Niemand soll ins Kloster gehn,
Als er sei denn wohl versehn
Mit gehörigem Sündenvorrat,
Damit es ihm so früh als spat
Nicht mög am Vergnügen fehlen,
Sich mit Reue durchzuquälen.

*

Laßt euch nur von Pfaffen sagen,
Was die Kreuzigung eingetragen!
Niemand kommt zum höchsten Flor
Von Kranz und Orden,
Wenn einer nicht zuvor
Derb gedroschen worden.

*

Den deutschen Mannen gereichts zum Ruhm,
Daß sie gehaßt das Christentum,
Bis Herrn Karolus' leidigem Degen
Die edlen Sachsen unterlegen.
Doch haben sie lange genug gerungen,
Bis endlich die Pfaffen sie bezwungen,
Und sie sich unters Joch geduckt;
Doch haben sie immer einmal gemuckt.
Sie lagen nur im halben Schlaf,
Als Luther die Bibel verdeutscht so brav.
Sankt Paulus, wie ein Ritter derb
Erschien den Rittern minder herb.
Freiheit erwacht in jeder Brust,
Wir protestieren all mit Lust.

*

"Ist Konkordat und Kirchenplan
Nicht glücklich durchgeführt?" -
Ja, fangt einmal mit Rom nur an,
Da seid ihr angeführt!


Goethe, Invektiven: Auf Lavaters 'Lied eines Christen an Christus'
Du bist! du bist! sagt Lavater. Du bist!!
Du bist!!! du bist!!!! du bist Herr Jesus Christ!!!!!
Er wiederholte nicht so heftig Wort und Lehre,
Wenn es ganz just mit dieser Sache wäre.

Goethe, Venezianische Epigramme (Ausschnitt)
65

Ist denn so groß das Geheimnis, was Gott und der Mensch und die Welt sei?
Nein! Doch niemand hörts gerne: da bleibt es geheim.

66

Vieles kann ich ertragen. Die meisten beschwerlichen Dinge
Duld ich mit ruhigem Mut, wie es ein Gott mir gebeut.
Wenige sind mir jedoch wie Gift und Schlange zuwider,
Viere: Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und Kreuz.

Goethe, aus dem Nachlaß: Übergangenes zu den Venezianischen Epigrammen (Anfang)
1

Sauber hast du dein Volk erlöst durch Wunder und Leiden,
Nazarener! Wohin soll es, dein Häufchen, wohin?
Leben sollen sie doch und Kinder zeugen doch christlich;
Leider dem früheren Reiz dienet die schädliche Hand.
Will der Jüngling dem Übel entgehn, sich selbst nicht verderben,
Bringet Lais ihm nur brennende Qualen für Lust.
Komm noch einmal herab, du Gott der Schöpfung, und leide!
Komm, erlöse dein Volk von dem gedoppelten Weh!
Tu ein Wunder und reinge die Quellen der Freud und des Lebens:
Paulus will ich dir sein, Stephanus, wie dus gebeutst.

2

"Heraus mit dem Teile des Herrn! heraus mit dem Teile des Gottes!"
Rief ein unglücklich Geschöpf, blind für hysterischer Wut,
Als, die heiligen Reste Gründonnerstag abends zu zeigen,
In Sankt Markus ein Schelm über der Bühne sich wies.
Armes Mädchen, was soll dir ein Teil des gekreuzigten Gottes?
Rufe den heilsamern Teil jenes von Lampsakus her!

3

Wundern kann es mich nicht, daß unser Herr Christus mit ...
Gern und mit Sündern gelebt: gehts mir doch eben auch so!

4

"Warum willst du den Christen des Glaubens selige Wonne
Grausam rauben?" - Nicht ich, niemand vermag es zu tun.
Steht doch deutlich geschrieben: "Die Heiden toben vergeblich."
Seht, ich erfülle die Schrift, lest und erbaut euch an mir!

5

Krebse mit nacktem Hintern, die leere Muscheln sich suchten,
Sie bewohnen und sie wähnen ihr eigenes Haus,
Sind mir seltne Geschöpfe, sie sind so klug als bedürftig;
Manches kam mir in Sinn, als ich am Ufer sie sah.
"Christ und Mensch ist eins!" sagt Lavater. Richtig! Die Christen
Decken die nackende Scham weislich mit Menschenvernunft.

6

In ein Puppenspiel hatt ich mich Knabe verliebet,
Lange zog es mich an, bis ich es endlich zerschlug.
So griff Lavater jung nach der gekreuzigten Puppe:
Herz' er betrogen sie noch, wenn ihm der Atem entgeht!

7

Guten schreibt er, das glaub ich! die Menschen müssen wohl gut sein,
Die das alberne Zeug lesen und glauben an ihn.
Weisen denkt er zu schreiben, die Weisen mag ich nicht kennen:
Ist das Weisheit, bei Gott! bin ich mit Freuden ein Tor.

8

Dich betriegt der Staatsmann, der Pfaffe, der Lehrer der Sitten,
Und dies Kleeblatt, wie tief betest du, Pöbel, es an!
Leider läßt sich noch kaum was Rechtes denken und sagen,
Das nicht grimmig den Staat, Götter und Sitten verletzt.

9

Was auch Helden getan, was Kluge gelehrt, es verachtets
Wähnender christlicher Stolz neben den Wundern des Herrn.
Und doch schmückt er sich selbst und seinen nackten Erlöser
Mit dem Besten heraus, was uns der Heide verließ.
So versammelt der Pfaffe die edlen, leuchtenden Kerzen
Um das gestempelte Brot, das er zum Gott sich geweiht.

10

Viele folgten dir gläubig und haben des irdischen Lebens
Rechte Wege verfehlt, wie es dir selber erging.
Folgen mag ich dir nicht; ich möchte dem Ende der Tage
Als ein vernünftiger Mann, als ein vergnügter mich nahn.
Heute gehorch ich dir doch und wähle den Pfad ins Gebirge,
Diesmal schwärmst du wohl nicht, König der Juden, leb wohl!

11

"Offen steht das Grab! Welch herrlich Wunder! Der Herr ist
Auferstanden!" - Wers glaubt! Schelmen, ihr trugt ihn ja weg.

12

Was vom Christentum gilt, gilt von den Stoikern: freien
Menschen geziemet es nicht, Christ oder Stoiker sein.

13

"Juden und Heiden hinaus!" so duldet der christliche Schwärmer.
"Christ und Heide verflucht!" murmelt ein jüdischer Bart.
"Mit den Christen an Spieß und mit den Juden ins Feuer!"
Singet ein türkisches Kind Christen und Juden zum Spott.
Welcher ist der Klügste? Entscheide! Aber sind diese
Narren in deinem Palast, Gottheit, so geh ich vorbei.

14

Höllengespenster seid ihr und keine Christen, ihr Schreier,
Die ihr den lieblichen Schlaf mir von den Augen verscheucht.
Warum macht der Pfaffe so viele tausend Gebärden
Und verscheuchet euch nicht wieder zur Hölle zurück?


Goethe, West-östlicher Divan, Aus dem Nachlaß (Ausschnitt):
Süßes Kind, die Perlenreihen,
Wie ich irgend nur vermochte,
Wollte traulich dir verleihen,
Als der Liebe Lampendochte.

Und nun kommst du, hast ein Zeichen
Dran gehängt, das unter allen
Den Abraxas seinesgleichen
Mir am schlechtesten will gefallen.

Diese ganz moderne Narrheit
Magst du mir nach Schiras bringen!
Soll ich wohl, in seiner Starrheit,
Hölzchen quer auf Hölzchen singen?

Abraham, den Herrn der Sterne,
Hat er sich zum Ahn erlesen;
Moses ist, in wüster Ferne,
Durch den Einen groß gewesen.

David auch, durch viel Gebrechen,
Ja Verbrechen durchgewandelt,
Wußte doch sich loszusprechen.
Einem hab ich recht gehandelt.

Jesus fühlte rein und dachte
Nur den einen Gott im stillen;
Wer ihn selbst zum Gotte machte,
Kränkte seinen heilgen Willen.

Und so muß das Rechte scheinen,
Was auch Mahomet gelungen:
Nur durch den Begriff des Einen
Hat er alle Welt bezwungen.

Wenn du aber dennoch Huldgung
Diesem leidgen Ding verlangest,
Diene mir es zur Entschuldgung,
Daß du nicht alleine prangest.-

Doch allein! - Da viele Frauen
Salomonis ihn verkehrten,
Götter betend anzuschauen,
Wie die Närrinnen verehrten

- Isis' Horn, Anubis' Rachen
Boten sie dem Judenstolze -,
Mir willst du zum Gotte machen
Solch ein Jammerbild am Holze!

Und ich will nicht besser scheinen,
Als es sich mit mir eräugnet:
Salomo verschwur den seinen,
Meinen Gott hab ich verleugnet.

Laß die Renegatenbürde
Mich in diesem Kuß verschmerzen:
Denn ein Vitzliputzli würde
Talisman an deinem Herzen.

Religionskritik Texte Links Literatur Klassiker (Goethe, Schiller, Lessing)